Pfarrer Haroutune Selimian in der Dresdner Kreuzkirche

Es ist unsere Heimat!

Um aus Aleppo nach Beirut zu gelangen brauch Pfarrer Haroutune Selimian rund zehn Stunden mit dem Taxi. Der Weg ist nicht ungefährlich. Es gibt Scharfschützen, die einem auflauern. „Bisher ist mir auf den Fahrten, die ich regelmäßig machen muss, nichts geschehen“, erzählt Pfarrer Selimian. „Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass Gott seine schützende Hand über mich hält.“ Mehrmals versuchten islamistische Rebellen, ihn zu entführen. Denn sie wissen: Wenn der Pfarrer einer Kirchengemeinde nicht mehr da ist, bröckelt die Gemeinde und die Christen gehen weg. „Das ist auch das Ziel der Islamisten: Sie wollen einen islamistischen Staat, in dem Christen keinen Ort mehr haben. Sie wollen, dass wir aus dem Land, wo die Geschichte der christlichen Kirche begann, vertrieben werden. Aber es ist unsere Heimat. Wir wollen bleiben!“ 

Eine Balance zwischen Ethnien und Religionen

Für Haroutune Selimian ist klar, dass es die christliche Präsenz in Syrien dringend braucht. „Wir helfen, dass es eine Balance gibt. Wir haben lange mit den

Zerstörte Kirche in Aleppo

verschiedensten Ethnien, Kulturen und Religionen zusammengelebt und wissen, wie bereichernd dieses Zusammenleben ist. Und gerade wir Christen spielen in dem Dialog im Land eine wichtige Rolle und können friedensstiftend sein!“

Friedenspreis

Am 8. Oktober 2017 hat Haroutune Selimian in Dresden den Friedenspreis „Schwerter zu Pflugscharen“ erhalten. „Schwerter in Pflugscharen zu verwandeln heißt, Schritt für Schritt Frieden zu kultivieren. Man kann ihn nicht durch einzelne politische Entscheidungen einfach so einführen, sondern muss ihn in den Köpfen und Herzen der Menschen vorbereiten„, betont er.

Bethelgemeinde ist ein Leuchtturm

Seit 1992 ist Haroutune Selimian Pfarrer der evangelischen Bethelkirchengemeinde. Damals hat er als junger Pfarrer eine Gemeinde übernommen, zu der kaum noch jemand hingehen wollte. Durch Beständigkeit, Standhaftigkeit, Begeisterung und viele Ideen hat er Menschen um die Bethelgemeinde herum gesammelt. Inzwischen ist diese Gemeinde ein „Leuchtturm“ für die armenischen Christen – besonders in Aleppo. Davon zeugen die zahlreichen sozial-diakonischen Aktivitäten wie die Medizinstation, die Wasserversorgung, die Lebensmittelverteilung, die Musikschule, die Behindertentagesstätte, die Schule und der Kindergarten. Die Gottesdienste sind immer wichtiger geworden als Treffpunkt und als Hoffnungsort. Und im Bürgerkrieg ist die durchschnittliche Zahl der Gottesdienstbesucher auf 350-450 gestiegen. Zur Sonntagsschule kommen mittlerweile an die 400 Kinder.

Stockend wird sein Stimme, wenn er von den Opfern aus seiner Gemeinde erzählt. Bei einem Raktenangriff im Herbst 2016 hat eine Familie allein zwei Kinder verloren. „Das 16-jährige Mädchen war eine der besten Schülerinnen der Bethelschule und eine tolle Sportlerin“, sagt Haroutune mit stockender Stimme. 

230 Menschen, die Opfer der Angriffe geworden sind, musste er in den Kriegsjahren schon beerdigen.

Die Kirche bewegt sich auf die Menschen zu

„Kirche muss ein Ort sein, der sich zu den Menschen hinbewegt und nicht starr und fest stehenbleibt“, sagt Haroutune. Er zeigt dann ein Bild, dass eine Schülerin der Bethelschule gemalt hat: Das Kirchgebäude ist sehr beweglich gezeichnet. Der Kirchturm neigt sich den Menschen zu, die mit ihren Sorgen, Nöten und Hoffnungen auf das Gebäude schauen. Spannend: Die Kirche hat Beine. Sie bewegt sich zu den Menschen hin und wartet nicht, dass die Menschen kommen. Drei Menschen sind am linken Rand zu sehen: ein alter Mensch, der sich kaum bewegen kann, ein behinderter Mensch, der seine Arme der Kirche entgegenstreckt und ein Kind mit einem Schulranzen. Zu allen drei spannt sich vom Kirchturm her ein lichtes Band, als wenn sie von dort Kraft, Segen und Licht für ihr Leben bekommen, das sie in Aleppo so dringend  brauchen. Und es ist so: Durch ihren Dienst für die Notleidenden und Bedürftigen wird die Kirche eine bessere Kirche.

„Wir brauchen eure Gebete und Hilfe“

„Und wir brauchen euch dafür“, sagte Haroutune Selimian auf einem Gemeindeabend in Dresden. „Wir brauchen eure Gebete und eure Hilfe!“ Er erzählte, wie notwendig es sei, den Menschen zu helfen, ihre zerstörten Wohnungen wieder aufzubauen. Sonst würden sie nicht bleiben oder nicht wiederkommen. Die Gemeinden brauchen Unterstützung für die Schulen, die sie unterhalten. In Aleppo hat die armenische-evangelische Kirche vier Schulen. Zusätzlich gibt es noch eine in Damaskus und eine in Kessab. Insgesamt lernen 1500 Schülerinnen und Schüler hier. „Wir brauchen Schulmaterial, Computer, Stipendien, um die Arbeit fortführen zu können!“

Schulen bedeuten Hoffnung für das Land

Ohne
Bildung würde eine hoffnungslose Generation heranwachsen, die dann
wieder Gewalt ausübt. Drei Millionen syrischer Kinder sind derzeit ohne
Schulausbildung. „Das ist ein großes Gefahrenpotenzial – nicht nur für
Syrien, auch für Europa!“ betont Haroutune
Selimian. 

Die Schulen und die armenische-evangelischen Gemeinden sind zudem wichtige Arbeitgeber. All die Lehrer und Mitarbeitenden in den diakonischen Zentren müssen bezahlt werden. Die Gehälter bedeuten, dass Familien ein Einkommen haben und dadurch auch eine Perspektive.

„Wir als Christen in Syrien wollen, dass das Evangelium Raum behält und dadurch seine friedensstiftende und versöhnende Kraft entfalten kann. Dafür brauchen wir dringender denn je eure Hilfe!“