38 Jahre lang lebte Maria in Venezuela. Als die häusliche Gewalt zu Hause in Kolumbien immer schlimmer wurde, folgte sie ihrem Bruder nach Venezuela. Ohne Papiere. Der Anfang war schwer. Nach zwei Jahren ging es langsam bergauf. Sie eröffnete ein Kosmetikstudio. Ihre Kunden waren hauptsächlich Ausländer. Als Hugo Chavez an die Macht kam und sein Programm der Verstaatlichung vieler ausländischer Firmen startete, ging es bergab. Maria hatte ihre Familie und konnte nicht mehr für sie sorgen. Also gingen sie zurück nach Kolumbien. Nur – hier wartete keiner auf sie, eine inzwischen 67 Jahre alte Frau. Nur mit Hilfe ihrer beiden Töchter findet sie Halt. In Venezuela hatte sie ein Haus – und jetzt alles verloren.
Lilianas Mann war bereits drei Jahre beim venezolanischen Militär. Er wollte gehen. Nur ließ man ihn nicht. Als es große Proteste in Venezuela gab, sollte das Militär gewaltsam eingreifen. Er wollte nicht auf seine Landsleute schießen. Er tauchte unter, wurde gesucht. Es wurde unerträglich. Sie entschlossen sich, zu fliehen. Das war vor acht Jahren. Das Leben in Kolumbien ist für die Familie schwer. Aber ein Zurück gibt es nicht. Das würde Gefängnis bedeuten.
Luisa hatte zwei kleine Hotels. Ihr ging es gut. Sie hatte ihr Auskommen. Irgendwann wurde sie aufgefordert, Schutzgeld zu zahlen, damit sie ihr Hotel weiterführen konnte. Anfangs willigte sie ein. Die Forderungen wurden immer höher. Und irgendwann bekam sie mit – als es schon zu spät war und sie Anzeige erstattete – , dass die Polizei in diese Schutzgeldforderungen eingebunden war. Luisa erlebte Fürchterliches – Verhaftungen, Androhung von Folter, Verschleppung von Familienmitgliedern bis hin zu Mord. Als sie ihre Geschichte erzählt, stockt sie immer wieder. Seit einem Jahr ist sie in Kolumbien.
Die Lutherische Kirche in Kolumbien (IELCO) hat mit Hilfe ausländischer Partner ein umfangreiches Programm „Paz y Migración“ für geflüchtete Venezolaner:innen entwickelt. Ein Projekt wird in der kleinen Missionsgemeinde „Lluvia de Gracia“ in Bogota durchgeführt. Zwei Mal in der Woche kommen hier rund 20 venezolanische Frauen zusammen. Sie bekommen Hilfe durch legale Beratung, psychosoziale Begleitung, gegenseitigen Austausch und Stärkung, gemeinsame Andachten und Handarbeit.
In den letzten Jahren hat die Migration aus Venezuela dramatische Ausmaße angenommen. Kolumbien ist zum Hauptziel für venezolanische Migranten geworden. Dazu sind fast eine halbe Million Kolumbianer:innen aus Venezuela zurückgekehrt aufgrund der schwierigen humanitären, politischen und wirtschaftlichen Situation. Die katastrophale Krise in Venezuela hat Kolumbien zur Heimat von ca. 3 Millionen venezolanischen Migranten gemacht. Insgesamt sollen über 9 Millionen Menschen das Land verlassen haben. Kolumbien ist nicht nur Ziel, sondern auch Transitland für globalisierte Migrationsströme. Geflüchtete aus der Karibik, Afrika und Asien suchen den gefährlichen Weg Richtung USA. Im Jahr 2023 überquerten etwa 520 000 Personen die Provinz Darién, eine der gefährlichsten Routen für Migranten.
Kolumbien selbst war und ist gefordert, Gesetze und Regelungen für die im Land bleibenden Geflüchteten zu schaffen. Seit Mai 2022 gibt es einen temporären Schutz für 10 Jahre, um den Betroffenen den Zugang zu grundlegenden Rechten wie Bildung, Gesundheit und formeller Arbeit zu ermöglichen. Nur der Zugang zum Arbeitsmarkt ist schwer. Die Meisten arbeiten im informellen Bereich. Durch die vielen Geflüchteten steigen Ressentiments in der Gesellschaft bis hin zur Fremdenfeindlichkeit.
Die lutherische Kirche bemüht sich in ihren Programmen, den Blick auf die Geflüchteten, ihre Geschichten und die strukturellen Probleme zu richten. Dazu gehört, die komplexe Beziehung zwischen Gewalt und Migration zu verstehen. „Migration ist nicht nur ein Ergebnis von Gewalt, sondern kann selbst als eine Form von Gewalt betrachtet werden“, sagt Kimberly, verantwortliche Programmleiterin. „Für uns ist die Förderung des sozialen Zusammenhalts zwischen den Migrant:innen und den aufnehmenden Gemeinschaften von großer Bedeutung. Wir setzen uns für bessere gesetzliche Regelungen zum Schutz der Geflüchteten ein. Wir arbeite daran, eine inklusive Gesellschaft zu sein, die sowohl Migranten als auch Einheimischen zugutekommt.“
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