Kirchenglocke in der evangelischen Kirche
in Homs / Syrien

Ende vergangenen Jahres war ich in Homs in Syrien. An einem Sonntag im Oktober feierten wir in der evangelischen Kirche in der Altstadt einen Gottesdienst in einer vollen Kirche. Die Altstadt war über zwei Jahre besetzt von islamistischen Kämpfern. Die evangelische Kirche war in der Zeit Rekrutierungszentrum von Islamisten – zudem war sie schwer beschädigt. Am Sonntag läutete ein Kirchenvorsteher per Hand die Glocke. In der ganzen Altstadt ist diese Glocke zu hören. Und sie ruft zum Frieden, zum Hören auf das Friedenswort: „Suche Frieden und jage ihm nach!“ (Psalm 34,15) 

An diese Szene erinnere ich mich am heutigen Weltfriedenstag, an dem in ganz Deutschland um 18 Uhr die Glocken aller Kirchen zum Frieden rufen sollen. 

Der Weltfriedenstag soll nach Willen der Vereinten Nationen (UN) genutzt werden, um die Idee des Friedens sowohl innerhalb der Länder und Völker als auch zwischen ihnen zu stärken und insbesondere da hinzuschauen, wo der Frieden brüchig und bedroht ist. 

In der Bibel begegnet einem keine Formulierung so oft wie „Der Friede sei mit dir!“ oder „Der Friede sei mit euch!“. Danach sehnen wir uns alle – bei uns – in Syrien, in Venezuela… Frieden ist dabei nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts! Frieden ist  mehr als die Abwesenheit von Krieg und Gewalt. Unsere Sehnsucht nach Frieden ist mehr als der Wunsch, von Krieg verschont zu bleiben. Frieden ist – das realisieren wir heute mehr denn je – zuerst ein Geschenk. Wer im Frieden leben kann, ist mit Kostbarem beschenkt, vielleicht mit dem Kostbarsten, das ein Menschenleben zu bieten hat. Dafür müssen wir uns einsetzen, daran müssen wir arbeiten und immer wieder neu nach Wegen zum Frieden suchen. 

Wenn heute Abend um 18 Uhr die Glocken läuten, dann werde ich an unsere Glaubensgeschwister in Homs denken und für sie beten. Meine Gebete gehen auch nach Venezuela, wo eine humanitäre Katastrophe die Menschen aus dem Land drängt. Meine Gebete gehen nach Italien und all den Menschen, die sich für ein offenes Europa einsetzen. Meine Gebete gehen zu unseren griechischen Glaubensgeschwistern, dass sie Kraft und Ausdauer behalten, sich für Heimatlose und Vertriebene einsetzen. So viele Orte auf dieser Welt, wo der Frieden bedroht ist! 

Für wen betete Ihr heute Abend, wenn um 18 Uhr die Glocken läuten und zum Frieden rufen?

Enno Haaks, Pfarrer und Generalsekretär des GAW