
(Foto: GAW)
Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Belarus ist eine kleine Minderheitskirche mit einer bewegten Geschichte. Das GAW unterhält Kontakte zu vier Gemeinden in Minsk, Wizebsk, Polazk und Hrodna, die von Pastor Wladimir Tatarnikow betreut werden. Die Hoffnung, dass man sich als staatlich anerkannte Kirche registrieren lassen kann, besteht. Jedoch braucht es dafür mindestens zehn Gemeinden.
Historische Wurzeln
Lutherische Gemeinden entstanden in Belarus im 16. Jahrhundert durch deutsche Siedler. In Hrodna (poln./russ. Grodno) wurde 1779 eine Gemeinde gegründet, die 1912 eine Kirche im neogotischen Stil errichtete. Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel Hrodna an die Sowjetunion, viele Lutheraner wurden vertrieben, und das kommunistische Regime löste die Gemeinde auf. Die Kirche wurde zweckentfremdet, der Turm zerstört.
Neuanfang nach 1991
Nach dem Zerfall der Sowjetunion bildete sich 1993 die lutherische Gemeinde in Hrodna neu. Mit internationaler Hilfe wurde die Kirche saniert. Auch in Minsk (1995) und Witebsk (1997) entstanden neue Gemeinden, die sich zunächst in öffentlichen Gebäuden trafen. Die Neuorganisation erfolgte in Zusammenarbeit mit der ELKRAS (Ev.-Luther. Kirche in Russland und anderen Staaten).
Spaltungen und Neustrukturierungen
1997 wurde Leonid Zwicki von der ELKRAS als Visitator für die lutherischen Gemeinden in Belarus eingesetzt. 2000 gründete er jedoch eine unabhängige Kirche (WELK), die sich an der Missouri Synod orientierte. Dies führte zur Spaltung: Ein Teil der Gemeinden blieb unter ELKRAS, während andere sich der neuen Struktur anschlossen. 2003 entstand eine dritte Gruppierung, die Selbstständige Evangelisch-Lutherische Kirche in Belarus.
2009 gründeten sieben Gemeinden einen neuen Bund unter der bischöflichen Aufsicht der ELKRAS. Aufgrund gesetzlicher Vorgaben musste der Bund 2009 aufgelöst werden, und die Gemeinde in Hrodna wurde Teil der ELKER (Russland). Pastor Tatarnikow übernahm die Betreuung.
Politischer Druck und neue Herausforderungen
Die politischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre in Belarus erschweren das kirchliche Leben. Nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2020 nahm der Druck auf Kirchen zu. Pastor Tatarnikow öffnete die Kirche für Schutzsuchende. Die Regierung überprüfte daraufhin die Finanzierung der Gemeinde.
Ein neues Religionsgesetz von 2024 verschärft die Lage. Gemeinden müssen sich neu registrieren lassen, wobei hohe bürokratische Hürden bestehen. Die Mindestmitgliederzahl pro Gemeinde wurde erhöht (mindestens 20 Personen pro Gemeinde, 10 Gemeinden für eine Gesamtregistrierung). Missionarische Tätigkeiten in privaten Räumen sind verboten. Die Verbreitung religiöser Literatur wird erschwert. Die Registrierung aller Gemeinden muss bis Juni 2025 erfolgen. Letztlich will der belarussische Staat versuchen, alle gesellschaftlichen Bereiche zu kontrollieren – einschließlich der Kirchen. Politische Äußerungen oder Engagement für Menschenrechte werden deshalb streng überwacht und können zu Sanktionen führen. Geistliche, die sich kritisch äußern oder Schutz für Demonstrierende bieten, geraten automatsch ins Visier der Behörden. Kirchen dürfen zudem nur Gelder aus dem Ausland erhalten, wenn sie staatlich genehmigt sind.
Zukunft der Lutheraner in Belarus
Pastor Tatarnikow betreut vier Gemeinden mit Unterstützung von zwei Diakonen. Er engagiert sich sozial, etwa für ukrainische Flüchtlinge. Die Orgelkonzerte der Gemeinde sind eine wichtige Einnahmequelle, stehen aber unter behördlicher Kontrolle. Die Einheit der Lutheraner bleibt ein offenes Thema. Einige ehemalige SELK-Gemeinden erwägen den Anschluss an Tatarnikows Gemeinden. Die Registrierung als anerkannte Kirche bleibt ein zentrales Ziel für die Zukunft.
Insgesamt steht die Religionsfreiheit in Belarus unter starkem Druck. Die Kirchen versuchen, trotz Repressionen ihre Arbeit fortzusetzen, doch die politische Situation macht es zunehmend schwieriger.
Kommentare
Richter, Manfred sagt:
Ergreifend und erschüätternd zugleich.
Doch wie soll man verstehen, dass die drei lutherischen Richtungen nicht einen gemensamen Bund schliessen können?
Wer könne da vermitteln und dazu motivieren ?