Lebensmittelhilfe durch die lutherische Gemeinde in Valencia |
Der ganze Alltag der Menschen in Venezuela dreht sich nur noch darum, das Überleben, die Gesundheit und die Arbeit zu sichern. Jeder Zweite ist arbeitslos und ohne soziale Absicherung. Der Internationale Währungsfonds schätzt die Inflation für 2021 auf 2 700 % – und für 2022 auf mindestens 2 000 %.
Armut und Auswanderung
Die katastrophale politische und ökonomische Situation hat die Bevölkerung in Armut gestürzt. Im September 2021 zählten 94,2 % der Menschen arm, 76 % sogar extrem arm. Die Zahlen ähneln sich denen in Länder, die sich in einem Kriegszustand befinden.
So entscheiden sich viele jüngere Menschen zur Flucht ins Ausland, um dort Arbeit und Auskommen zu finden. Doch so einfach ist es nicht. Weil es keine Ausweise gibt, reisen Menschen illegal aus und sind mit der Guerilla und anderen Gefahren konfrontiert. In den Zielländern ist es für sie wiederum schwierig, einen regulären Status zu bekommen. Nur wenige finden eine qualitativ gute Arbeit. Viele müssen Jobs akzeptieren, die sehr schlecht bezahlt sind, und werden ausgebeutet. Am Ende brauchen sie ihr ganzes Geld für das eigene Überleben, obwohl sie geplant hatten, ihre Familien daheim zu unterstützen.
Als Folge liegt in Venezuela in 60 % der Fälle der Hausvorstand in Händen von Frauen. Viele von ihnen sind Alleinerziehende. Sie können kaum Arbeit finden, weil sie sich um minderjährige Kinder kümmern müssen. Auch gibt es im Land inzwischen viele ältere Frauen, die für Enkelkinder im Schulalter sorgen. 2021 hatte nur 1/3 der venezolanischen Frauen Arbeit. Das sind noch einmal 10 % weniger als 2020.
Genaue Zahlen zur Auswanderung fehlen, denn die venezolanische Regierung informiert nicht über die Flucht vieler Einwohner. Schätzungsweise haben seit 2015 mehr als fünf Millionen Venezolaner das Land verlassen.
Pandemie
Die politische und institutionelle Krise beschleunigt die Coronapandemie. Es gibt auch in diesem Fall keine gesicherten Daten. Scheinbar wurden die Quarantänemaßnahmen auch dazu genutzt, die Bevölkerung zu kontrollieren und den Mangel an Benzin zu vertuschen.
Die Gesundheitsversorgung ist auf ein Minimum reduziert. Es gibt kein Impfprogramm. Trotzdem beschloss die Regierung, die Schulen wieder zu öffnen. Im November/Dezember sollen alle Beschränkungen aufgehoben werden. “Wir machen uns große Sorgen, dass uns Corona in den kommenden Wochen in eine totale humanitäre Katastrophe führt”, schreibt Pfarrer Gerardo Hands von der lutherischen Gemeinde in Valencia.
In der Backstube von Casa Hogar |
Casa Hogar
Die Pandemie hat auch das Kinderheim Casa Hogar der lutherischen Gemeinde in Valencia von der Außenwelt isoliert. Trotzdem leben die Kinder und Jugendlichen nach wie vor beinahe ihren normalen Alltag. Der Unterricht fand lange nur digital statt, dennoch konnten auf dem Gelände Aktivitäten wie Musik, Sport und Lesestunden sowie die normalen täglichen Arbeiten durchgeführt werden.
“Gott sei Dank, werden wir durch unsere Freunde im Ausland unterstützt, die dafür sorgen, dass wir Lebensmittel, Kleidung und Gesundheitsversorgung haben. Derzeit sind elf Kinder bei uns. Sechs sind im Schulalter. Drei haben in diesem Jahr ihr Abitur gemacht, zwei studieren inzwischen am Konservatorium des Bundesstaates Carabobo Tuba und Cello. Die Hauseltern haben ihnen dafür ein Stipendium organisiert. Bisher hat sich kein Kind mit Corona angesteckt. Wir halten die Hygienemaßnahmen auch sehr sorgfältig ein”, beschreibt Elizabeth Pérez de Hands die Situation im Kinderheim. Sie kann der Situation etwas Gutes abgewinnen: „Wir hatten mehr Zeit für Bibelstudium und Gebet, christliche Filme und Ruhe.“ Die Ausbildung im Bäckereihandwerk in der Backstube des Kinderheims wurde fortgesetzt und verbindet das Nützliche mit dem Spaß.
Im Kindergarten Casa le Amistad hat die lutherische Gemeinde die Pandemiezeit genutzt, um Erhaltungsarbeiten am Gebäude durchzuführen. In der Regel werden 25 Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren betreut.
Das pastorale Team
In der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Venezuela arbeiten gegenwärtig vier Pfarrer, eine Diakonin und eine Laienpredigerin. Von ihnen könnte der ehemalige Kirchenpräsident Akos von Puky nach 55 Dienstjahren eigentlich längst im Ruhestand sein. Auch andere arbeiten vielfach ehren- oder nebenamtlich.
Die Situation des pastoralen Teams ist prekär. Die Gemeindebeiträge reichen bei Weitem nicht aus, um die täglichen Kosten zu decken. Das monatliche Gehalt liegt zwischen 200 und 350 Dollar. Nur dank dem angebotenen Wohnraum und der regelmäßigen Unterstützung mit Lebensmitteln etc. können sie überleben. Diese prekäre Situation ist nicht hilfreich, um Pfarrnachwuchs zu gewinnen, betont Hands, der als Kirchenpräsident ehrenamtlich arbeitet und dafür monatlich einen Unkostenbeitrag erhält. “Ich danke Ihnen für Ihre Gebete und die sehr zeitnahe Solidarität, die das GAW und sein Team immer ausgezeichnet hat”, schreibt er.
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