Wilhelm Dantine (1911-1981)

Der österreichische Theologe Wilhelm Dantine beschreibt vor 50 Jahren die Herausforderungen, Gefahren und Aufgaben evangelischer Diasporakirchen für ihre Gesellschaften und gerade auch für die „Mehrheitskirchen“: 

„Es wird vor allem eine Aufgabe der Minderheitskirchen selber sein, von sich ernsthaft reden zu machen. Sie selber verharren zu leicht in einer Igelstellung innerhalb ihres nicht evangelischen Umfeldes, sind oft in erster Linie auf Überleben bedacht und verstehen sich als unterstützungsbedürftige Restgruppen. Ihr funktionaler Sinn als motorische Belebungszellen im Geiste des Evangeliums müßte ganz anders erkannt und wahrgenommen werden, und zwar sowohl im ökumenisch-kirchlichen Gespräch als auch in der Mitbeteiligung an der gesellschaftlich-politischen Verantwortung in ihren Ländern. Ob sie heute und in Zukunft etwas zu sagen haben werden, hängt entscheidend von ihnen selbst ab, d.h. von der Sinngebung, die sie selbst in ihrer ekklesisalen Sonderexistenz zu vermitteln imstande sind…

Wer die eigentümliche Verzahnung der evangelischen Diaspora mit ethnischen Traditionen und soziologischen Strukturen kennt und sie im Lichte der sich dort vollziehenden politischen, kulturell-geistigen und gesellschaftlichen Prozesse sieht, wird abwägen können, welche Bedeutung es haben würde, wenn die protestantischen Minderheiten die ihnen innewohnende eigentümliche Gemeinsamkeit in neuer Weise zur Geltung brächten. Sie könnten in ihren Räumen als ein unübersehbares Element eigener geistiger Prägung das mitgestalten , was in Gegenwart und Zukunft Wirkkraft haben wird. Sie stehen andererseits vor der eminenten Gefahr, aufgesogen zu werden oder zu bizarren Musealstrukturen zu verdorren, blieben sie ihrem endlosen innerkonfessionellen und meist auch innerethnischen Monolog verhaftet. Die Bewußtwerdung  einer evangelisch-protestantischen Sendung vermöchte sie nicht nur selbst zu neuem Leben ermutigen, sondern auch heilsame Rückwirkungen auf die großen Kirchenkörper ermöglichen.“ 

(Wilhelm Dantine, Gustav-Adolf-Blatt 15.Jg., Heft 3 Juli 1969)

Mit ihrer Studie zur einer „Theologie der Diaspora“ versucht die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE), die auf der Vollversammlung in Basel im Oktober 2018 verabschiedet wurde, wird auf diese Herausforderungen eingegangen und Diaspora als Chance gesehen: „Die Fülle an Beziehungen (ist) die Berufung und Sendung der Diaspora-Gemeinden.“ (Miriam Rose)