Die Putzfrau in der lutherischen Schule Escuela Belén in einem Armenviertel Santiagos de Chile ist katholisch. Von den insgesamt 45 Frauen und Männern, die dort arbeiten, ist keiner lutherisch, obwohl unter ihnen Sympathisanten der kleinen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Chile sind. Was nicht schwer ist, denn die Kirche zeichnet sich durch eine große Weite und freiheitliches Denken aus und hat sich zudem in Fragen der Menschrechte einen Namen gemacht. Helmut Frenz, ehemaliger Bischof dieser Kirche und Träger des Nansen-Flüchtlingspreises der Vereinten Nationen, steht dafür.

Diese lutherische Schule mit katholischen, pfingstlerischen sowie konfessionslosen Angestellten und Schülern gäbe es ohne das Gustav-Adolf-Werk allerdings nicht mehr. An entscheidender Stelle war das Diasporawerk der EKD da und hat das fehlende Geld gesammelt. Ein Akt der Nächstenliebe und nicht nur an des „Glaubens Genossen“, auch wenn der Empfänger der Spende die evangelisch-lutherische Versöhnungsgemeinde, der Träger der Schule war. Diese kleine Minderheitsgemeinde stand derart hingebungsvoll hinter ihrer Schule, dass sie bei deren Scheitern wahrscheinlich mit zugrunde gegangen wäre.

Das Leitmotiv des GAW, „Lasset uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen“ (Galater 6,10), richtet sich an solche Minderheitskirchen und ihren Gemeinden wie in Santiago de Chile. Das GAW stellt sich bewusst der Aufgabe, Minderheiten zu unterstützen, damit sie Verantwortung übernehmen und Nächstenliebe üben können – und zwar an jedermann! Dass die „Glaubensgenossen“ dabei nicht außer Acht gelassen werden dürfen, ist dem GAW wichtig. Denn – wer sonst macht das noch? In den neun Jahren als Pfarrer der evangelisch-lutherischen Versöhnungsgemeinde habe ich im Armenviertel in Santiago einiges erlebt. Auch kirchliche Entwicklungshilfeorganisationen, darunter evangelischer Prägung, die den lutherischen Trägern diakonischer Einrichtungen das Leben schwer machen.

Bewusst steht das GAW zu seinem Leitwort. Und bewusst steht es dazu, Minderheiten zu stärken. Nicht, damit sie sich sektiererisch abschotten, sondern damit die Vielsprachigkeit des Evangeliums Raum bekommt.

Im Artikel „Evangelische Putzfrau gesucht“, Kasseler Sonntagsblatt vom 6. Februar 2011, taucht die Ambivalenz der Nächstenliebe in ihrer Konkretion deutlich hervor. Beschränkt die Nächstenliebe sich auf die, denen man nahe steht, denn dort ist – wie bei Familienangehörigen – die Verantwortung am größten? Geht es überhaupt, die Hilfsbedürftigen gegeneinander auszuspielen? Das GAW stellt sich bewusst der Herausforderung, Lutheranern, Reformierten und Unierten Christen beizustehen und sie in ihrem Engagement in ihren Gesellschaften zu unterstützen. Hier wird Nächstenliebe beispielhaft gelebt, entgrenzt, bezogen auf die, die leiden.

Es ist gerade in unserer Kirchensituation geboten, auf unsere Schwestern und Brüder zu schauen, die ihren Glauben als Minderheit leben. Vor allem tut es uns in Deutschland gut, die Diasporaverantwortung ernst zu nehmen und Diasporawerke wie das GAW nicht in eine Reihe zu stellen mit Organisationen, die sich abschotten und keine Verantwortung für die fernen Nächsten übernehmen.

Die katholische Putzfrau war froh, in der Escuela Belén zu arbeiten, denn bei uns wehte ein anderer, ein freiheitlicherer Geist. Gerne hätte ich damals in der Schule in Santiago auch eine lutherische Putzfrau gehabt. Warum nicht? Die gab es jedoch nicht. Und die Putzfrauenfrage war niemals die entscheidende. Das Allerwichtigste war, dass die Schule weiter bestehen und Kindern aus Armenviertel eine Chance auf Bildung und besseres Leben bieten konnte, unabhängig von ihrem Glauben. – Pfarrer Enno Haaks