Prof. Dr. Klaus Fitschen |
„Man muss den Diasporabegriff … füllen und nicht einfach mit dem biblischen Sprachgebrauch rückkoppeln. Minderheiten spielen in modernen Gesellschaften eine nicht unwichtige Rolle, Toleranz gilt unbedingt auch für sie, und Diversität ist eines der Kennzeichen einer Zivilgesellschaft. Gerade weil Religionsgemeinschaften klein sind, sollten sie sich gegen die Unsichtbarmachung durch einen laizistischen Staat verwahren
Ich würde darum den Diasporabegriff auch als „Aussaat“ und nicht als „Zerstreuung“ verstehen. Auch das aber ist von den äußeren Gegebenheiten abhängig und sieht in Russland gewiss anders aus als in Frankreich. Die Minderheitenexistenz ist eine Aufgabe und keine Beschränkung, könnte man sagen. Darum ist Solidarität innerhalb der evangelischen Kirchen auch so wichtig, die nicht nur finanzieller Art sein, sondern auch in der Ermutigung zu einer selbstbewussten Existenz bestehen sollte. In Gesellschaften wie der Deutschen sind die Kirchen auch in einer Minderheitenposition wichtige Träger der Zivilgesellschaft, und sie werden es noch lange bleiben, sofern sich das politische Klima nicht radikal ändert. In manchen anderen Ländern können sie das gar nicht sein, weil sich gegen alle Hoffnung in Ost- und Ostmitteleuropa wieder autoritäre Regime etabliert haben oder diese Kirchen einfach viel zu klein sind.
Eine Theologie der Diaspora ist in jedem Falle eine kontextuelle Theologie, die sich
bewusst ist, dass das Christentum nicht durch die schiere Masse seiner Gläubigen einen Einflussfaktor darstellt. Das kann dann immerhin auch davor bewahren, dass man sich primär als einen solchen Einflussfaktor ansieht. Was es auszusäen gilt, ist ja das Evangelium, auch wenn man selbst als Diaspora, zerstreut also, unter säkularen Menschen lebt. Die Kirche ist letztlich gewiesen an die Welt, die der Botschaft von Jesus Christus bedarf, auch wenn sie sie nicht mehr hören will. Eine Theologie der Diaspora ist insofern auch eine Theologie der Beharrlichkeit, die aus dem Befund, eine Minderheit zu sein, nicht vorschnell den Schluss zieht, es würde reichen, sich nur mit sich selbst zu beschäftigen. Als jemand, der versucht, Theologiestudierende auf ihre Zukunft in Schule und Kirche vorzubereiten, ist mir das ein wichtiges Anliegen: Christen in der Diaspora sind keine Randgruppe, sondern die Mitte der Gesellschaft.“
(Prof. Dr. Klaus Fitschen, „Graswurzel oder Heiliger Rest? – Auf dem Weg zu einer Theologie der Diaspora“, in demselben Buch, S. 141, Leipzig 2020)
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