Diakoniepastor Jairo Suarez

„Fünf Jahre war mein Vater alt, als ihn Polizisten mit einer Pistole bedrohten, damit er verrät, wo mein Großvater war,“ berichtet Jairo, Diakoniepfarrer der lutherischen Kirche Kolumbiens (IELCO). „ Sie suchten meinen Großvater, weil er ein Liberaler war. Damals standen sich Konservative und Liberale feindlich gegenüber. Weil die Liberalen und die „evangelicos“ miteinander sympathisierten, wurden die „evangelicos“ ebenso verfolgt. Es wurden Kirchen angezündet, Bibeln verbrannt und „evangelicos“ getötet. Von 257 getöteten Protestanten sind  aus diesen Jahren die Namen bekannt. Der politische Konflikt wurde schnell so auch ein religiöser.“

Jairos Großvater wurde nicht entdeckt. Er konnte seine Familie und sich nach Bogotá in Sicherheit bringen. Viele Menschen sind so vom Land in die Städte gekommen, um der Gewalt zu entkommen. Dabei ging es um Agrarreformen, die bis in die 1930er Jahre zurückreichen und den Widerstand der Latifundienbesitzer, der reichen Schichten und auch aus Teilen der katholischen Kirche hervorriefen. Ein Menschenleben war nichts wert. „Es reichte manchmal schon, eine rote Krawatte zu tragen, um von konservativen Kräften und ihren Paramilitärs ermordet zu werden“, fährt Jairo fort. Deshalb sind rund 80 % der kolumbianischen Bevölkerung sogenannte „desplazados“, Menschen, die aufgrund der brutalen Gewalt ihr Land verlassen mussten. Kolumbien ist das Land mit den meisten Binnenflüchtlingen weltweit.

Ähnliche Geschichten können viele Mitglieder der lutherischen Kirche erzählen. „Wir sind mit der Vorstellung aufgewachsen, dass meine Eltern nach Bogotá gezogen sind, um bessere Arbeitsmöglichkeiten zu finden und eine bessere Ausbildung für uns Kinder,“ sagt

Bischof Atahualpa Hernandez (li.) im Gespräch mit

GS Enno Haaks

Bischof Atahualpa Hernandez von der IELCO. „Erst vor wenigen Jahren ist uns bewusst geworden, dass meine Eltern vor Gewalt des Bürgerkrieges geflohen sind.“ In der IELCO gibt es Menschen, die auf Grund des Krieges Angehörige verloren haben – nicht allein durch die Guerilla, sondern auch durch Militärs und Paramilitärs. „Das wirkt in unsere Kirche hinein und stellt uns vor die Frage, wie die IELCO den Friedensprozess unterstützen kann“, sagt Atahualpa Hernandez.

Das langwierige Ringen um Frieden hat Konflikte auch in die IELCO hineingetragen. „Es gibt eine Gruppe in der Kirche, die Rache wollen für die schlimmen Taten. Sie sind mit dem Abkommen zwischen Regierung und der FARC nicht einverstanden, weil die Frage nach Gerechtigkeit für die Opfer nicht berücksichtigt ist und viele Täter straffrei davonkommen. Deshalb lehnen sie bestimmte Projekte der Kirche, die sich um Versöhnung mühen, ab“,  berichtet Bischof Hernandez. „Wir kommen aber nicht darum herum, uns in den notwendigen Versöhnungsprozess als Kirche einzubinden und dort, wo wir Gemeinden haben, mit den Menschen zu arbeiten. Wir müssen unsere Kraft einsetzen, in dem anderen nicht den Feind zu sehen, sondern den, der genau wie ich auf Gottes Gnade angewiesen ist. Nur so lernen wir in dem anderen den von Gott geliebten Nächsten zu sehen. Sacar la mascara – dem anderen die Maske nehmen, die ihn als Feind zu erkennen gibt. Darum geht es!“

Pastor Jairo Suarez arbeitet neben seiner Tätigkeit als Diakoniepastor noch in der Gemeinde „Luz y vida“ in der Ciudad Bolivar im Süden Bogotás. Dort leben 800.000 Menschen. Fast alle sind sie sog. „desplazados“. Die Lebensbedingungen sind mehr als dürftig – ein lateinamerikanisches Armenviertel. Dort hat Pastor Suarez mit Hilfe von Freunden ein kleines Gemeindezentrum errichtet und arbeitet vor Ort mit den Opfern der Gewalt zusammen, die von allen Seiten kommen. Das ist nicht immer leicht, weil schnell Zuschreibungen erfolgen: „Du gehörst zu den Bestien der FARC …“ oder „Deine Angehörigen gehören doch zu den Militärs …“ Hier setzt die Arbeit der IELCO an – „sacar las mascaras“… 

In Ibague – drei Autostunden von Bogotá entfernt arbeiten die Frauen daran, versöhnend in ihrem Stadtviertel zu wirken. Hier wurden durch den Friedensvertrag ehemalige FARC-Kämpfer mit ihren Familien angesiedelt. Unterstützt wird die Frauengruppe von Pastorin Liria Consuelo Preciado.

In Medellin arbeitet Pastor John Hernandez in der berüchtigten Comuna 13, wo noch vor zehn Jahren das Militär ein Massaker verübte, das bis heute nicht aufgeklärt ist. In der „Casa de Paz“ übt er mit jungen Menschen, auf Gewalt nicht mit Gegengewalt zu reagieren. Unterstützt wird er von Psychologen. Wichtig ist dabei immer wieder die biblische Botschaft von der Versöhnung mit Leben zu füllen und sich selbst davon anstecken zu lassen. „Nur so kann der Hass besiegt werden, der vergiftet,“ sagt John.

In Villavicencia – zwei Autostunden von Bogotá entfernt – arbeitet die lutherische Gemeinde in einem Armenviertel, in dem mehrheitlich „desplazados“ wohnen, und sorgt sich neben sauberem Trinkwasser um die notwendige Versöhnungsarbeit.

„Es gilt an den Orten, wo wir präsent sind, um Versöhnung zu säen. Es ist vielleicht nicht viel, aber der Prozess des Friedens ist kein Prozess, der allein auf Regierungsebene stattfinden kann. Er muss dort gestaltet werden, wo die Menschen leben, die unter dem Bürgerkrieg gelitten haben. Mit diesen Menschen muss man vor Ort sich täglich gemeinsam einüben, Gewalt zu überwinden und Frieden zu leben. Da sind wir alle gefordert. El proceso de la paz es de todos los Colombianos – der Friedensprozess ist Sache aller Kolumbianer“, sagt Bischof Atahualpa Hernandez.

Die IELCO ist eine der wenigen evangelischen Kirchen, die den Friedensprozess aktiv unterstützt – bei aller Kritik an ungelösten Fragen wie z.B. der gerechten Landverteilung und der Frage der Täterverfolgung und Opferentschädigung. Es gibt unter den mehrheitlich konservativen charismatischen und pfingstlerischen Kirchen viele, die laut nach Vergeltung rufen. Da ist die IELCO eine Ausnahme.

Am 24. November wurde an die Unterzeichnung des Friedensvertrages vor einem Jahr erinnert.