Pfarrer Markus Merz, Referent bei der GEKE, gelang es auf dem Kirchentag in Stuttgart mit den Bischöfen der beiden evangelischen Partnerkirchen aus der Ukraine ein Gespräch zu führen. Er berichtet:“Da haben die Gründungsväter der Leuenberger Konkordie der „Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa“ (GEKE) eine echte Herausforderung ins Stammbuch geschrieben: Zur Verwirklichung der Einheit in aller Verschiedenheit geht es um „eine möglichst große Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst an der Welt.“ (LK 29). Wie also lässt sich Kirchengemeinschaft im Alltag verwirklichen und wie kann es auch in Krisensituationen gelingen, „für irdische Gerechtigkeit und Frieden zwischen den einzel­nen Menschen und unter den Völkern“ einzutreten? (LK 11).

Auf dem 35. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Stuttgart im Juni 2016 hat sich die GEKE dieser Grundsatzfrage gestellt und zu einem Gespräch mit Bischof Sandor Zán Fabian und Bischof Serge Maschewski zum Thema „Kirche im Ukraine-Konflikt – Was trägt in der Krise?“ eingeladen. Die beiden Bischöfe sind um die 40, haben Familie und Kinder und haben sich einander bisher noch nicht getroffen. Auf dem Kirchentag be­gegnen sie sich zum ersten Mal und sprechen über ihren Ort und ihre Rolle als Bischöfe. 

Sandor Zán Fabian trägt schon seit einigen Jahren die Verant­wortung als Bischof in der ungarisch-reformierten Kirche in der Karpaten-Ukraine, einer Verwaltungs­einheit der Ukraine an die Slowakei, Ungarn und Rumänien angrenzend. Weit über 100.000 Mitglieder zählt die Kirche und versteht sich in konfessioneller wie in ethnischer Hinsicht als „doppelte Minderheit“ – was mitunter auch heißen kann, zwischen allen Stühlen zu sitzen.

Serge Maschewski hat im vergangenen Jahr das Bischofsamt der Deutschen Evangelisch-Luther­ischen Kirche in der Ukraine mit Sitz in Odessa übernommen. Er selbst lebte neben Kasachstan, wo er geboren ist, auch in den USA und in Deutschland und ist nun der erste Bischof seiner Kirche, der nicht von außen entsandt wurde. Die kleine lutherische Kirche mit 25 Gemeinden – im Westen und im Osten des Landes und auf der Krim – zählt etwa 12.000 Mitglieder.

Der westlich informierte Mensch hat ja die Neigung Klartext reden zu wollen: Was macht Ihr? Wie lebt es sich in einem Land inmitten eines Krieges? Doch lässt sich davon im Gespräch mit den Bischöfen wenig hören. Von Politik sprechen sie nicht. Allein im Spiegel der konkreten Erfahrungen im Alltag ihrer Gemeinden sprechen sie über ihr Land: Von den drückenden wirtschaftlichen Nöten und von den Männern, die Zuhause fehlen, von den Wegen, die unpassierbar geworden sind und von den Schulen, die geschlossen sind, von den Spannungen in den Gemeinden und von der großen Sehnsucht nach Ruhe – letztlich nach Frieden.

Die evangelischen Kirchen in der Ukraine entfalten dabei eine große zivilgesellschaftliche Kraft. Da werden von reformierten Gemeinden kommunale Dienste übernommen, um Hunger abzuwenden und ein Backofen wird zum Ausgangspunkt diakonischer Fürsorge für eine ganze Region. Da ist es letztlich die Kirche vor Ort, die die örtliche Feuerwehr und andere gesellschaftliche Aufgaben organisiert. Da sind es insbesondere die Gemeinden, in denen Flüchtlinge und Waisen aufgenommen werden. „Wir betrachten uns als Gliedkirche der einen ungarischen Kirche, in der es letztlich nie zu einer Spaltung kam“ – sagt Bischof Zán Fabian für seine Kirche. Seit 2009 verstehen sich die ehemals vor 1920 im König­reich Ungarn vereinten Teile wieder als eine Kircheneinheit. Die ungarischen Partner stehen den Schwestern und Brüder eng zur Seite; so wird beispielsweise für junge Männer, die kurz vor der Rekrutierung stehen, Ungarn zu einem wichtigen Rückzugsort; auch wird für diakonische Aufgaben Geld gesammelt. „Kirche wird durch die Diakonie als Kirche erkannt“, unterstreicht dazu Balász Odor, Ökumene­referent der Reformierten in Ungarn.

Für die lutherischen Gemeinden war es insbesondere der Bezug zur Evangelischen Lutherischen Kirche in Bayern, durch den kirchliches Leben wieder möglich wurde. Die „bischöflichen Visitatoren“ kamen in den letzten Jahrzehnten aus Bayern. Auch ermöglichte es die bayerische Landeskirche jungen bayerischen Pfarrern, während der ersten Amtsjahre ihren Pfarrdienst in der Ukraine zu leisten. Nun bemüht sich die junge Kirche umso mehr um Eigenständigkeit und darum, als eigener ökumenischer Partner im Land wahrgenommen zu werden. Eine Brücke zum Frieden wollen sie auch für andere Konfessionen werden.

„Welche Akteure in der Ukraine haben die Kraft, Menschen zusammenzubringen und zum Frieden beizutragen?“ Auf diese Frage lässt sich in aller Deutlichkeit antworten: Es sind im Besonderen Minderheits­kirchen wie die der Reformierten oder der Lutheraner. Wenn die ungarisch-reformierte Kirche in der Ukraine zum Gemeindetag unter dem biblischen Leitwort aus Jesaja 42 einlädt: „Ich will meine Ehre keinem Andern geben“ – dann ist dies eine mutige, gar prophetische Zeitansage der Kirche an die Gesellschaft, in der sie lebt. Eine Ahnung der zweiten These der Barmer Theolo­gischen Erklärung kommt auf, nach der es keine Bereiche des Lebens geben darf, „in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären.“ Das alles erlangt derzeit in der Ukraine eine bedrohliche Aktualität. Die Armut und die Not, in Loyalitätskonflikten zerrissen zu werden, lässt die beiden Bischöfe die Mitte ihres Auftrags suchen. Diesen finden sie in der Berufung, die sie durch Gott erfahren, die Gemeinden zusammenhalten. Sie wollen dabei verheißungsorientiert auf Gott schauen und suchen dabei in einem zweiten Schritt ihre gesellschaftliche Rolle.

Will Bischof Maschewski seine lutherischen Gemeinden in der Ostukraine aufsuchen, ist das durchaus möglich und zugleich eine Unternehmung, die viele Tage dauert. „Die Leute sind müde geworden“ – stellt er fest. Der Krieg und die Unsicherheit machen mürbe. Zugleich stellt sich für ihn auch Grund zur Erleichterung: Er ist dankbar, dass durch die Unterstützung der bayrischen Partnerkirche administrative Hürden zur Krim einfacher wurden und dass durch eine Vereinbarung mit der russischen evangelischen Partnerkirche eine Vereinbarung zur Nutzung der Immobilen auf der Krim viel rechtlichen Druck herausnehmen konnte. Auch stellt Serge Maschewski fest, dass manche Gemeinden die noch vor einem Jahr unter einer großen Spannung standen, nicht zerbrochen sind. Die zugewachsenen neuen Aufgaben beispielsweise für Flüchtlinge haben russisch und ukrainisch ausgerichtete Gemeindeteile zusammenhalten lassen. „Die Krise hat die Kirche konsolidiert“, erkennt er erleichtert. Durch die Hinwendung zu einer gemeinsamen, verbindenden diakonischen Aufgabe ließ sich die Einheit wahren. Beide Bischöfe können von einigen Lichtblicken und Hoffnungszeichen aus Ihrem Land erzählen.

„Wo sind nun die Fettnäpfchen, auf die Menschen von außerhalb achten sollten?“ – gibt es etwas, was der von außen Kommende gerade nicht tun soll? Die Antwort führt in eine andere Richtung: Es ist das Gebet, um das die Bischöfe bitten, die Fürbitte für den Frieden in ihrem Land. Und es ist der Wunsch, den Geschichten zuzuhören, die sie erzählen. Beten und zuhören – und nicht vorschnell urteilen oder gut gemeinte Ratschläge geben. Dann stellt sich die Frage der Fettnäpfchen und Tabus von vorneherein nicht, denn als Partner und Freunde sind sich dann alle einander nahe. Natürlich sind die Kirchen auch auf finanzielle Unterstützung angewiesen und sie suchen Förderer und Sponsoren. „Doch Gott allein weiß, was sie brauchen“ – damit sie nicht unter die Räder kommen. Wieder so ein kirchliches Understatement, von dem man nur lernen kann. Verstehen wird es, wer sich angesprochen weiß. Und verstehen wird es der umso mehr, der erkennt, dass Kirchengemeinschaft mehr ist als die Übereinkunft in theologischen Fragen. Die beiden Bischöfe wollen sich bald wieder treffen und sie wollen sich künftig noch mehr über ihren Dienst und ihr Zeugnis in ihrem Land austauschen. Der Anfang ist gesetzt.