Heute am Tag vor unserer Rückreise nach Deutschland ist intensives Bogotá-Programm angesagt. Um 9 Uhr treffen wir Pastor Jairo Suárez, den Direktor der Diakonie der Iglesia Evangélica Luterana De Colombia (Evangelisch-Lutherische Kirche von Kolumbien – IELCO). Mit dem Auto des Bischofs, der zurzeit in Mexiko weilt, will er mit uns eine Rundfahrt durch die 8-Millionen-Stadt machen. „Ein Auto können wir uns nicht leisten“, sagt er deutlich und weist auch auf seine Frau Liria Consuelo Preciado, die mit uns im Auto fährt. Sie ist ja die erste Pastorin der IELCO, die ich am Vortag kennengelernt hatte. Sie will zu ihrer kleinen Gemeinde.

Und so sausen wir gen Süden, vorbei an Parks, über breiten Ausfallstraßen, sehen lange Reihen von Inline-Skatern und Fahrradfahrern, auch die „Bici-Taxis“, eine Art Rikscha, die an uns vorüberflitzen, während wir uns von Ampel zu Ampel kämpfen. An jeder Ampel versuchen die verschiedenen Verkäufer ihr Glück mit Popcorn, Getränken oder auch Tennisschlägern. Interessant und gut ist, dass die großen roten Busse der Gesellschaft „Transmilenio“ auf einer Extraspur und deshalb nicht im Stau fahren, allerdings auch an der Ampel halten müssen. „Das Autofahren in Bogotá ist eine Herausforderung“, meint Jairo, „wer in Bogotá fahren kann, schafft das auch überall in der Welt“. 

Wie die Situation auf den Straßen ist, wird daran deutlich, dass Jairo Olaf dringend bittet, seine Hand während der Fahrt nicht aus dem Fenster zu halten. „Da kann jemand kommen und dir die Uhr vom Arm reißen!“ Dann ertönt lautet Reklame. Ich wittere eine politische Propaganda. „Nein, nein, das ist Werbung für Milchreis.“ – so geht das eine Stunde.

Consuelos Gemeinde liegt im Süden der Stadt und heißt „El Porvenir“. Das bedeutet so viel wie „Zukunft“. Die Armut ist hier erschreckend und eine Zukunftshoffnung zu vermitteln eine große, fast kaum vorstellbare Aufgabe. Hier leben etwa 1 Million Menschen. Der Unterschied zwischen dem Süden und dem Norden der Stadt ist riesig.

Normalerweise fährt Consuelo mit dem Bus hierher, das bedeutet zwei Stunden Fahrt. Am Sonntagmorgen muss sie deshalb um 6 Uhr los, da der Gottesdienst um 8 Uhr beginnt. Wir kommen bei der Gemeinde an. Sie ist außen durch kein Schild erkennbar. „Nein, der Hausbesitzer wollte das nicht.“ Der kleine Raum ist gemietet, und an diesem Mittwochmorgen in der Karwoche haben sich ein paar Menschen zum Fasten und zum Gebet versammelt. Sie begrüßen uns nun. Diese Gemeinde ist ein so genannter „Missionspunkt“, das heißt, sie ist eine Außengemeinde einer Muttergemeinde, von der sie abhängig ist, weil sie sich allein finanziell nicht tragen kann. Sie kann nur die Miete für den Raum aufbringen, und das sind monatlich ungefähr 150 EUR. Zu dieser Gemeinde gehören inzwischen 40-50 Personen und etwa 20 Kinder. Die Arbeit begann vor 10 Jahren mit einer Familie, die Nachbarn sammelte. Das waren vor allem allein erziehende Mütter und Menschen ohne feste Arbeit. Aber die Menschen in der Gemeinde sind sehr engagiert, und das beweist uns Luz Mañna Russi, indem sie uns zwei Listen zeigt. „Auf der einen stehen alle die, die Blumendienst haben, auf der anderen diejenigen, die sich ums Putzen und den Kaffee kümmern. Das ist alles genau geregelt und läuft prima“, erklärt sie stolz. 

Jairo stellt das Gemeindeleben vor. Wöchentlich ist dienstags morgens eine Gebets- und Fastenzeit, donnerstags nachmittags Bibelstunde. Dazu kommen hauptsächlich Frauen. Samstags morgens findet Bibelunterricht für die Kinder statt, am Nachmittag für die Jugend. Sonntags wird um 8 Uhr Gottesdienst gefeiert. Außerdem kommt Donnerstagabend noch ein Ehrenamtlicher, der Musikunterricht gibt. Er bringt die Instrumente, Gitarre und Schlagzeug, selber mit. 

Wir sitzen mit den fünf Frauen und zwei Männern zusammen zu zwölft im Kreis. Die Fragen erstaunen. Nein, da bittet niemand um Geld, obwohl sie es so bitter nötig hätten. Jairo hat erzählt, dass ich einmal in Äthiopien gearbeitet habe, und nun wollen sie wissen, wie das geistliche Leben dort aussieht. Als ich erzähle, hören sie mit großem Interesse zu. Und sie wollen wissen, was die Menschen woanders in der Welt über Kolumbien denken.

Ich schaue nach vorne zum Altar. Da steht auf einem großen Plakat: „El Espiritu de Dios esta en este lugar – der Geist Gottes sei an diesem Ort“. Der Vers aus Matthäus 18,20 geht mir durch den Kopf: „Wo zwei oder versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“. Hier erlebe ich die Wirklichkeit dieses Wortes. 

Pastora Consuelo muss nun im Anschluss zu ihrer zweiten Gemeinde, denn in jeder hat sie nur eine 50%-Stelle, und diese zweite Gemeinde liegt am anderen Ende der Stadt. Sie heißt „Solo por fé – allein durch Glauben“. Ein guter Name für eine reformatorische Gemeinde. „Aber diese Gemeinde lebt auch allein aus Glauben“, meint Jairo fast etwas ironisch mit einem Hinweis auf die ganz geringen finanziellen Mittel, die ihr zur Verfügung stehen, und setzt seine Frau vor dem roten Backsteingebäude ab. – Vera Gast-Kellert