Ein wichtiger Grund für den Abschluss unserer Reise in Kolumbien ist der Besuch des indigenen Kogi-Volkes. Seit praekolumbianischer Zeit leben sie in der Sierra Nevada bei Santa Marta nicht weit entfernt von der Karibikküste und der Grenze mit Venezuela. Wer im Netz nach den Kogi sucht, findet nicht viel und schon gar nichts darüber, dass eine Gruppe der Kogi Christen geworden sind. Dies geschah durch die Beziehung zu einigen Frauen, die als Wycliff-Bibelübersetzerinnen in das Gebiet der Kogi kamen und dort lange mitlebten. Teile des Neuen Testamentes in der Kogi-Sprache sind inzwischen ediert, und im Herbst 2014 soll das ganze Neue Testament in der Kogi-Sprache erscheinen, berichtet Pastor Carlos mit leuchtenden Augen. Er selber ist Kogi und an der weiteren Übersetzung der Bibel beteiligt. Aber die Wendung hin zum christlichen Glauben sollte für die Kogi schwerwiegende Folgen haben. Es war vor allem für die Regierungsvertreter der Kogi nicht vereinbar: Kogi bleiben und Christ sein. So wurden die christlichen Kogi von ihrem Land vertrieben. Mit Hilfe der Iglesia Evangelica Luterana de Colombia (IELCO), der Lutherischen Kirche in Kolumbien, gelang es, ein neues Stück Land in der Sierra Nevada für die Gemeinschaft zu erwerben. Es ist so, dass die IELCO diese indigene Gemeinschaft auf ihrem Weg begleitet. Im vergangenen Jahr war sogar eine Gruppe von 14 Jugendlichen aus der IELCO dort, die das sehr beeindruckt und verändert hat. Es ist ein wichtiger Teil der kirchlichen Mission der IELCO.

Was würde uns dort erwarten, fragen wir uns am Freitag, 11.4., als wir mit dem Flugzeug nach Santa Marta aufbrechen, begleitet von Pastor Atahualpa Hernández, dem Dekan der Theologischen Hochschule in Bogotá. Gott sei Dank spricht er gut Deutsch. In Santa Marta treffen wir dann Lizbeth, 2012/13 Stipendiatin des GAW in Leipzig, die jetzt aus Barranquilla zwei Stunden westlich von Santa Marta angereist ist. Für Atahualpa, oder kurz Ata, ist dies die vierte Reise zu den Kogi, für Lizbeth die zweite. 

Danach geht es eine Stunde weiter mit einem Bus nach La Revuelta, der Ort, der Umkehr heißt. Wer weiß warum? Hätten wir geahnt, wie mühsam der Weg zu den Kogi ist, vielleicht wären wir doch umgekehrt. 

Wir übernachten auf Pritschen in einem einfachen Haus, das wohl unter der Woche mit einigen Räumen als Schülerwohnhaus gilt. Jetzt ist niemand da. Erstens ist Wochenende, zweitens beginnt die „Semana Santa“, die Karwoche, und da sind Ferien. Am Samstagmorgen beginnt der Aufstieg. Er ist sehr schwierig und heiß und dauert fünf Stunden. Es geht steil bergauf. Zwischenzeitlich denke ich: Soll ich das weitermachen, aber dann siegt doch meine Entschlossenheit, die Kogi kennenzulernen, über den inneren Schweinehund, und als wir oben sind, bin ich froh. Lizbeth und Ata haben gut für die Verpflegung gesorgt und in La Revuelta eingekauft. Glücklicherweise müssen wir aber auch unsere auf das Allernotwendigste beschränkten Rucksäcke, die zwei Hängematten für Lizbeth und Ata und die Nahrungsmittel nicht tragen. Das besorgen zwei Maultiere. Unsere Unterkunft ist im Haus von Pfarrer Carlos. Es ist ein einfacher Bretterbau, ebenso sind die Betten Pritschen. In der ersten Nacht bricht Olafs Pritsche durch. 

Am Nachmittag macht Ata eine Stunde mit den Frauen – unglaublich gut. Zuerst wird gesungen, und wir identifizieren wenigstens ein Lied: „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht“. Sie haben sehr große Freude, als wir es zuerst auf Deutsch und dann gemeinsam singen. Inhaltlich geht es dann um die Mochilas, das sind die Taschen, die jeder Kogi immer bei sich trägt und die die Frauen selber herstellen. Jede der Frauen hat ihre Handarbeit, eben die Mochila, dabei. Sie zeigen mir die wichtigen Stiche und vertrauen mir auch ein Stück Handarbeit an. Ich bekomme Applaus, auch wenn ich, wie sie mit Recht feststellen, keine Kogi bin! Anhand der Mochila erzählen sie über ihr Leben, vor allem über ihr Leben als Christen. Ja, die Mochilas der christlichen Kogi sind bunter, sagen sie, ihr Leben ist fröhlicher als das der traditionellen Frauen. Und sie arbeiten mit den Männern zusammen. Die Männer bauen den Grundstoff, der aus einer Pflanze gewonnen wird, an, die Frauen verarbeiten weiter. Überhaupt wird immer wieder betont, dass die Männer den Frauen helfen im Haushalt und bei der Kindererziehung. „Das unterscheidet die christlichen Kogi von den traditionellen“. 

Um 18.30 Uhr gehen wir zu Bett, oder besser zur Pritsche! Es ist nämlich stockfinster, und es gibt keinen Strom. Das Kogi-Leben kommt zur Ruhe. Nur noch Vogelstimmen sind ab und zu hören, die richtige Melodien pfeifen. 

Am nächsten Tag ist Sonntag, der Gottesdienst fängt um 8 Uhr morgens an, wieder sehr bewegend. Er beginnt mit einem langen Singen. Dann gehen die Kinder zum Kindergottesdienst hinauf zur Schule. Vorher gibt es eine Kollekte, die so aussieht, dass jeder Naturalien in eine Kiste legt. Wir beteiligen uns mit einigen Pfund Reis. Ich nehme bei der zweiten Hälfte am Kindergottesdienst teil, den Lizbeth hält. Sie wird ab Juni 2014 für eine Zeit, erst einmal ein Jahr, dort leben – bewundernswert – und vor allem in der Schule auch Spanisch unterrichten und sich um die Frauen kümmern. Der Vertrag wird in diesen Tagen dort oben abgesprochen und festgelegt. 

Am Nachmittag gibt es wieder ein spontanes Treffen in der Kirche, einem ganz einfachen Haus aus Stein mit Lehmfußboden und Wellblechdach. Es geht um Frauen in der Bibel. Immer wird ein sehr enger Bezug zu den Kogi gezogen, und die Kogis beteiligen sich erstaunlich lebhaft, gerade auch die Frauen. Das macht Lizbeth sehr geschickt. Noch spricht sie selbst kein Kogi und wird von einer der wenigen Spanisch sprechenden Frauen übersetzt. 

Im anschließenden Gespräch mit Pastor Carlos betont er engagiert seine vorrangigen Ziele: das ist zuerst die Bibelübersetzung. Er arbeitet zusammen mit anderem am Alten Testament. Bei der Bibelübersetzung in die eigene Sprache ist es bedeutsam zu vermitteln: das ist kein fremder Gott, sondern unser Gott! Weitere Ziele sind die Bildung und die Gesundheit. Die sind in besonderer Weise wichtig aber auch ein Problem für die christlichen Kogi, weil die Regierung sie nicht in ihrer Identität anerkennt.

Am Abend liegen wir dann wieder um 18.30 Uhr auf unseren Pritschen. Der Abstieg am Montagmorgen beginnt um 6 Uhr, allerdings müssen unsere kleinen Rucksäcke schon um 5 Uhr gepackt sein, weil sie wieder von Mauleseln heruntergebracht werden – Gott sei Dank, anders hätten wir es kaum geschafft. Wir hatten gedacht, der Abstieg sei gegenüber dem Aufstieg ein Kinderspiel, aber mitnichten. Eigentlich ist er sogar schwieriger. Der Weg ist steil und sandig, mit riesigen Felsbrocken, wir rutschen und fallen, allerdings ohne nennenswerte Schäden, von ein paar blutigen Schrammen abgesehen. So dauert der Abstieg vier Stunden. Die Kogis machen das in 25 Minuten! Im Rückblick erscheint mir die Reise zu den Deni im Amazonasgebiet in Brasilien vor vier Jahren eine 3-Sterne-Kreuzfahrt gegenüber dem Aufstieg ins Kogi-Land. „Der Glaube der Kogis ist in ihren Knien“, sagt der guatemalische Theologe Antonio Otzoy. Ja, da ist meiner wohl – noch – nicht. Aber vielleicht ist er auf diesem Weg ein Stück in diese Richtung gerutscht und näher am Herzen! – Vera Gast-Kellert, Leiterin der Frauenarbeit