Vor
Kurzem wurden in Leipzig zum Lichtfest am 9. Oktober zwei kritische
ungarische Journalisten mit einem Medienpreis ausgezeichnet. Sie rückten
die derzeitige ungarische Regierung in ein sehr kritisches und
demokratiefeindliches Licht. Dagegen sagt der leitende refomierte
Bischof: „Wir sind in Ungarn nicht undemokratisch – nur haben wir z.Zt.
eine „übergelenkte“ Demorkratie. Unser Ministerpräsident will alles im
Griff haben und kontrollieren. Aber die demokratischen Institutionen
funktionieren. Und wir üben Kritik, wie beim Kirchengesetz oder beim Mediengesetz.“ Und ein lutherischer Bischof
ergänzt: „Man muss sich die Hintergründe politischer Entscheidungen sehr
differenziert anschauen. Tut man das, dann sieht vieles anders aus.
Unsere Kirche will in kritischer Solidarität zur Regierung stehen. Nur –
ich habe den Eindruck, dass im Ausland, besonders in Deutschland zu
einseitig über Ungarn berichtet wird.“

Und alle Gesprächspartner sagen: „Die Politik der Regierung ist nicht schlecht.
Nur – sie vermitteln ihre Politik nicht gut. Zudem steckt das
politische System oft noch in einem Freund-Feind-Musterdrin. Das ist Erbe der 40jährigen Diktatur. Wir üben in Ungarn erst seit 20 Jahren Demokratie.“ Erschwerend kommt hinzu, dass ein Austausch der „Eliten“ wenig stattfand. Viele von
den alten Eliten haben es geschafft, sich in die „neue Zeit“ zu retten
und in Politik und Wirtschaft verantwortliche Positionen zu erreichen.

Das
Merkwürdige an Behauptungen, dass Ungarn sich auf dem Weg in eine
Dikatatur befindet ist, dass viele Ungarn die aktuellen Vorgänge anders
wahrnehmen, um
nicht zu sagen entgegen-gesetzt. Vieles ist aus westeuropäischer Sicht
im Blick auf Ungarn nicht einfach zu verstehen. Und sicher macht
manchmal einem
auch der ungarische Nationalismus zu schaffen. Wobei muss man auch hier
unterscheiden, wo und mit wem man spricht. Wahr ist, dass das
ungarische Volk ein verletztes Volk ist. 2/3 des ungarischen Gebietes
gingen nach dem 1. Weltkrieg an Nachbarstaaten. Zudem ist die ungarische Geschichte geprägt
von dem Drang nach Freiheit und
Unabhängigkeit. Vor über tausend Jahren waren die Ungarn noch ein
Nomadenvolk. Ab 850 wurden sie
sesshaft im Karpatenbecken und waren in ganz Europa gefürchtet für ihre
Streifzüge. Zur Zeit der Türkenkriege leisteten sie erbitterten
Widerstand gegen die Unterdrückung durch das Osmanische Reich und
verteidigten das christliche Europa. 1848 führten sie einen
Unabhängigkeitskrieg gegen die Vorherrschaft der österreichischen
Habsburger. 1956 erhoben sich die Ungarn gegen die Sowjetunterdrückung
und auch nach 1956 konnte sich der Kommunismus nie richtig in Ungarn
durchsetzen. Die Ungarn haben eine lange Tradition des Widerstandes
gegen Bevormundung und wirtschaftliche Unterdrückung. 

Auf
dem Lichtfest in Leipzig lud Minister Zoltan Balog, ein reformierter Theologe und Pfarrer, die Leipziger ein,
sein Land zu besuchen und mit den Menschen zu sprechen und nicht über
sie. Die Ungarn genau wie wir brauchen einen kritischen Dialog – und das in gegenseitiger Solidarität!

Aus
den Gesprächen in Ungarn mit den verschiedenen Gesprächspartnern kam
ein differenziertes Bild heraus, das weit von dem entfernt ist, was vor
Kurzem in der Leipziger Volkszeitung stand und das Land in die Nähe
einer Diktatur rückte. 

Minister
Balog ist ein differnziert denkender Mensch, der nach wie vor jeden
Monat einmal in seiner reformierten Gemeinde in Budapest predigt. „Er
braucht das und will seine Identität als Pfarrer nicht verlieren,“ sagt
eine Pfarrerin.