Seit Jahren steckt die zentralasiatische Republik in einer Dauerkrise. Und mittendrin lebt eine kleine lutherische Kirche. Mit jeder neuen Regierung haben die Menschen die Hoffnung gehabt, dass etwas besser wird und sich ändert.« Alexander Schanz, stellvertretender Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Republik Kirgisistan schaut fragend Elmira Mamatachunowa an. Als Russlanddeutscher hat er sich trotz einer Einreisegenehmigung nach Deutschland dafür entschieden, in Kirgisistan zu bleiben, aber bei der Frage, was die ethnischen Kirgisen denken und fühlen, weiß er um seine Grenzen. Und die Kirgisin Mamatachunowa ist in der Tat skeptischer. »Ich habe keine Hoffnung und kein Vertrauen, dass es besser wird. Die neuen Herren werden wieder ihre Säcke füllen und sich damit davonmachen.«

Acht Monate nach dem Regierungsumsturz im April, sechs Monate nach dem blutigen Konflikt zwischen Kirgisen und Usbeken im Süden des Landes, zwei Monate nach den Wahlen hat das Land eben eine neue Regierung bekommen. Vielleicht sind die politischen Wirren sogar eine Chance für die lutherische Kirche. Denn so hatte niemand Zeit, das restriktive Religionsgesetz aus dem Jahr 2009 durchzusetzen.

Das Gesetz verlangt zum Beispiel eine Umregistrierung von Gemeinden, wobei die Mindestzahl für Mitglieder auf 200 Personen festgelegt wurde – die größte lutherische Gemeinde in Winogradnoje zählt etwa 80 Personen. Mit ihren rund 600 Gemeindegliedern und 15 Gemeinden sind die Lutheraner eine kleine Minderheit in dem islamischen Land, kleiner an Zahl sogar als die Baptisten oder Pfingstler.

Entstanden als Kirche der deportierten Russlanddeutschen, hat sich die Evangelisch-Lutherische Kirche in Kirgisistan mit der politischen Wende 1991 und mit der Auswanderung der Deutschen für die russischsprachigen Bewohner des Landes geöffnet. Doch nun sitzen auch die Russen auf gepackten Koffern.

Auch wenn der blutige Konflikt sich zwischen Kirgisen und Usbeken ereignete, sicher fühlen sich auch die anderen Nationen nicht mehr. Kann eine kleine Kirche, die nicht historisch im Land verwurzelt ist, unter solchen Bedingungen, unter ständigem Aderlass überleben? Wieder gleitet Alexander Schanz’ Blick zu Elmira Mamatachunowa hinüber. Sie ist eine lutherische Kirgisin.Vor vier Jahren schenkte ein Christ der Geschäftsfrau eine Bibel. Sie trug das Buch mit sich, las in jeder freien Minute darin – und verstand das ­Ge­lesene nicht. Doch sie las weiter, hartnäckig. Als hätte sie geahnt, dass sie darin die Liebe und Wärme finden würde, die ihr als 17. von 21 Kindern, einer von den zu vielen ungewünschten Töchtern, versagt geblieben war. Ihr Leben lang hatte sie ihre ganze Energie in das Streben nach Wohlstand, nach Geld, nach Autos gesteckt und ihre Kinder als Störfaktor ­wahr­genommen. Seit zwei Jahren ist die 45 Jahre alte Mutter von sechs Kindern und Großmutter getauft. Sie hat schließlich, von Lebenskrisen erschüttert, den Menschen aufgesucht, der ihr die Bibel geschenkt hatte. Sie wollte, dass jemand ihr das Buch erklärt. In christlicher Gemeinschaft hat sie die Geborgenheit erfahren, wonach sie sich lange gesehnt hatte, und sogar die eigene Liebesfähigkeit entdeckt. »Ich habe erkannt, dass jeder Mensch besonders ist. Und den Sinn des ­Lebens gefunden.« Diesen Schatz möchte sie weitergeben an andere Kirgisen, die auf das Leben zornig sind, wie sie es selbst gewesen war.

Inzwischen gibt es auch einen 22-jährigen Prediger, der Kirgisisch spricht, und es gibt eine Gemeinde mit mehreren usbekischen Mitgliedern. Es besteht also durchaus die Chance, dass die lutherische Kirche im Land bleibt und Deutsche, Russen, Usbeken und Kirgisen vereint – wenn die Machthaber und die muslimische Mehrheit diese Entwicklung zulassen und zum Beispiel das Predigen auf Kirgisisch oder die Arbeit mit Kindern nicht unterbinden.

Alexander Schanz hat jedenfalls eine ganz klare Vorstellung von der Zukunft seiner Kirche. »Ich wünschte, wir werden uns einmal eine kirgisische lutherische Kirche nennen können, nicht mehr lutherische Kirche in Kirgisistan.« – Maaja Pauska