„Mitte der 1990er Jahre habe ich mit meiner Frau und den beiden Kindern ein Jahr lang im Pfarrhaus der lutherischen Kirche in Socota gelebt“, erzählt Pastor John Rojas. „Das war eine bewegende Zeit und hat mich darin bestärkt, Pastor zu sein. Dabei war es keine einfache Zeit. Wir kamen aus Bogota und lebten auf einmal auf dem Campo in den Anden auf 3 500 Höhenmetern mitten im Nirgendwo. Die nächsten Nachbarn waren weit weg. Zum Einkaufen fuhren wir alle acht Tage mit dem Moped eine halbe Stunde hinunter in das Dorf. Manche Gemeindemitglieder waren nur zu Fuß auf Pfaden erreichbar. Ich musste viel lernen – auch mit längeren Stromausfällen und der Einsamkeit umzugehen.“
Um die lutherische Kirche zu erreichen, muss man erst einmal den Ort Socota erreichen, über Strassen, die sich den Berg hoch schlängeln. Von dort geht es über einen unbefestigten Weg 30-40 Minuten weiter hinauf. Besonders mühsam ist das, wenn es viel regnet.
„In dem Jahr, als ich dort Pastor war, gab es immer wieder Begegnungen mit der FARC-Guerilla und auch dem Militär. Das war eine Herausforderung. Manchmal kamen Kämpfer und ruhten sich auf dem Kirchengelände aus. Gewalt durch sie haben wir nicht erlebt. Im Gegenteil, die Guerilla es geschätzt, was wir als Kirche für die Kommune an diakonischer Arbeit geleistet haben“, sagt John.
Warum gibt es in diesem abgelegenen Gebiet eine lutherische Kirche? Nordamerikanische Missionsgesellschaften haben in den 1930er Jahren die Regionen in Kolumbien unter sich aufgeteilt. Man wollte nicht in Konkurrenz zueinander gehen, sondern das Evangelium mit den armen Menschen auf evangelische Weise teilen. So findet man presbyterianische Gemeinden im Norden und lutherische Gemeinden im Zentrum des Landes.
Also kamen die ersten lutherischen Missionare nach Socota, um eine lutherische Kirche zu gründen in einer sehr konservativen katholischen Region. Die Anfänge waren schwer, denn es gab Widerstände. Dennoch konnte die Kirche sich vor 88 Jahren gründen. Die ersten Missionare fanden bald Menschen, mit denen sie die Bibel lasen und teilten. Immer wieder gab es Übergriffe von einem Mob, der angestachelt war von katholischer Seite. Die erste Kirche, die die Gemeinde in Socota baute, wurde niedergebrannt. Auch Bibeln wurden verbrannt und Menschen evangelischen Glaubens eingesperrt. Diese Verfolgungszeit war schwer und hat die Gemeinde geprägt. Deshalb spielt das weit abgelegene Kirchengebäude auch heute noch eine wichtige Rolle. Die nächstgelegene lutherische Gemeinde ist zwei Stunden Autofahrt entfernt.
Die Menschen dieser Region lebten ursprünglich von der Landwirtschaft. Das änderte sich, als Minengesellschaften begannen, hier Kohle abzubauen. Neben großen Firmen gibt es viele kleine illegale Stollen, die die Menschen in den Berg treiben. Die Folge des unkontrollierten und auch massiven Bergbaus ist an vielen Orten zu erkennen. Das Wasser wird kontaminiert, die Umwelt leidet. Die Landwirtschaft geht zurück. Flächen werden gerodet. Natürliche Lebensräume verschwinden. Der Abbau von Kohle ist zudem mit einem erheblichen Wasserbedarf verbunden: zum Binden von Kohlestaub, zum Kühlen und zum Verhindern von Kohlebränden, zum Betrieb von Maschinen etc. Der Abbau und die Aufbereitung von Kohle gehen mit der Freisetzung von Luftschadstoffen wie Kohlestaub und dem Treibhausgas Methan, das in Kohle gebunden sein kann, einher. Mit den Kohlepartikeln gelangen auch weitere in dem fossilen Energieträger gebundene Schadstoffe wie Quecksilber und schwefelhaltige Verbindungen in die Umwelt.
Das alles sieht man auf dem Weg zur lutherischen Kirche. Zahlreiche Gemeindemitglieder arbeiten in den Minen – entweder angestellt oder illegal. Gerade bei den illegalen Minen kommt es immer wieder auch zu schweren Unfällen.
Das alles prägt heute die Umgebung und die Menschen in der Gemeinde in Socota. Dazu kommen die Entfernungen, die die Menschen teilweise zu Fuß zurücklegen. Das Leben ist für viele schwer. Umso wichtiger sind die Kirchengemeinde und die Gottesdienste. Das konnte ich am 11. November 2024 in der Kirche in Socota spüren.
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