Eine Szene aus dem Theaterstück „Gottes großer Zoo“ – Foto: Priit Loog

Wie fühlt es sich an, eine Minderheit in einer Gesellschaft zu sein, in der eine deutliche Mehrheit überhaupt nichts mit Religion anzufangen weiß? Estland lebt es vor. „Wenn ich Besuch aus Skandinavien oder Deutschland empfange und es um Säkularisierung geht, sage ich: Willkommen in der Zukunft auch in Ihren Ländern!“, sagt Urmas Viilma, Erzbischof der Estnischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, in einem Interview in Zeitzeichen 1/2023.

Durch die atheistische Erziehung in der Sowjetzeit über mehrere Generationen ist in Estland das Wissen z.B. über die Bibel nur noch sehr rudimentär verbreitet. Auch der Glaube an sich ist vielen sogenannten „religiösen Analphabeten“ suspekt. Merkt eine Gruppe von Menschen, dass unter ihnen ein Christ ist, gibt es sowohl hörbare als auch körpersprachliche Reaktionen: Ängste, Vorurteile und unsicheres Verhalten kommen zum Vorschein, manchmal folgt unangenehmes Schweigen oder ein unpassender flotter Spruch. Natürlich gibt es auch sachliche Fragen, echtes Interesse und Freundlichkeit.

Über solche Begegnungen hat die Religionswissenschaftlerin und Regisseurin Laura Jaanhold im Theater Endla in Pärnu in der Spielzeit 2022/2023 ein Dokumentar-Theaterstück auf die Bühne gebracht. Es heißt „Gottes großer Zoo“. Die Inszenierung basiert auf 17 ausführlichen Interviews mit estnischen Christinnen und Christen, die unterschiedlichen Kirchen angehören. Sie berichten von gleichgültigen oder ablehnenden Reaktionen. Auch Ängste gibt es – auf beiden Seiten: Christinnen und Christen verstecken ihre Religiosität, weil sie Angst davor haben, was man von ihnen denkt, Angst davor, dass ein Gespräch als Aufzwingen ihres Glaubens interpretiert wird. Die Nichtgläubigen wiederum haben Angst vor der Begegnung mit einem unbekannten Thema – auch dann, wenn sie nicht feindselig eingestellt sind.

Ein Lösungsansatz für das Problem ist aus Jaanholds Sicht ist: Trotz Ängsten miteinander reden. „Stille verfestigt Überzeugungen. Eine aktive Rolle kann dazu beitragen, die Einstellung von Menschen zu ändern“, so die Regisseurin. Ihr Theaterstück ist ebenfalls ein Gesprächsangebot. Das Theater als neutrale Umgebung bietet die Möglichkeit einer unverbindlichen Annäherung. In der Diskussionsrunde nach einer Aufführung sagte ein Besucher: „Ich habe das Gefühl, dass das Theaterstück mich zu einem besseren Menschen gemacht hat. Es hat meine Vorurteile abgebaut.“

(Der Blogbeitrag beruht auf einem Artikel von Kätlin Liimets,O my God, du bist so was wie gläubig, nicht wahr!?“ aus dem Magazin „Evangelisch weltweit“ 2/2023. Das Theaterstück und die Interviews waren Teil von Jaanholds Masterarbeit „Einstellungen zur Religion in Estland – Wie fühlen sich die Vertreter der christlichen Konfessionen in Estland?“ an der Universität Tartu. Den kompletten Artikel zum Nachlesen finden Sie hier: https://www.gustav-adolf-werk.de/evangelisch-weltweit-das-magazin-des-gaw.html)