Pfarrer Haroutune Selimian verteilt Lebensmittelhilfe auf dem Hof der Bethelkirche in Aleppo

Erdbebenhilfe der Armenisch-Evangelischen Bethelgemeinde

Tag und Nacht suchen Hunderte Menschen Schutz in der armenisch-evangelischen Bethelkirche in Aleppo. „Im Moment bringen wir 400 obdachlose Menschen in unseren Gebäuden unter“, erzählt Pfarrer Haroutune Selimian per Zoom aus seiner Kirche. Die Gebäude, das sind eine Schule der Gemeinde sowie die Bethelkirche mit dem Gemeindehaus. „Diese Menschen haben Angst davor, dass ihre Häuser nicht sicher sind. Würden wir sie wegschicken, hätten sie kein Dach mehr über dem Kopf und auch ihre ohnehin schlechte psychische Verfassung würde sich verschlimmern.“

Familien suchen Schutz

Es sind Familien wie die vierköpfige Familie Baldijan: Mutter, Vater, zwei Söhne, der jüngste erst drei Jahre alt. Die Mutter ist Lehrerin, ihr Mann Schuhmacher. Obwohl beide arbeiten, ist es eine Familie, die kaum über die Runden kommt. Ihre Kinder sind unter schwierigsten Bedingungen im Krieg und während der Pandemie herangewachsen. Hinzu kommt, dass die Sanktionen gegen die syrische Regierung vor allem die Menschen im Land trafen und treffen. Und nun das Erdbeben. „Wir schliefen in unserer Wohnung, die im höchsten Stockwerk liegt“, erzählt die Mutter Karina. „Ich konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten, ich umarmte meine Kinder, wir knieten nieder und ich betete: ‚Oh Herr, rette uns.‘ Steine fielen herab. Mein ältester Sohn hatte große Angst, besonders als er sah, dass das Bild von ihm und seinem Bruder herunterfiel und der Glasrahmen zerbrach.“ Schutz fand die Familie schließlich in ihrer Kirchengemeinde. „Wir sind Gott dankbar, dass er uns bewahrt hat. Und wir sind der Bethelgemeinde und dem Pastor dankbar, dass sie uns im Gemeindesaal beherbergen, sich um uns kümmern und allen ein Mittagessen geben. Meine derzeitige Sorge gilt nur meinen Kindern. Ich spüre, wie mein jüngster Sohn im Schlaf zittert.“

Es sind nicht nur Familien aus der Gemeinde, die hier umsorgt werden, sondern auch Familien aus der Nachbarschaft, die nicht zur Gemeinde gehören, auch muslimische. Die Straßen der Stadt sind derzeit gefährlich, nicht nur wegen der andauernden Nachbeben. Es gibt Gruppen, die Geschäfte und Häuser plündern. In der Nacht sind Minusgrade, es ist bitterkalt

Schutzsuchende in der Bethelkirche

Besser wir sterben zusammen …

Aus seiner Gemeinde musste Pfarrer Haroutune Selimian bisher eine Mutter mit ihrem Sohn begraben, der Vater liegt schwer verletzt im Krankenhaus. In ganz Aleppo wurden bisher 1400 Tote gezählt, aber es werden täglich weitere Opfer gefunden.
Im Vergleich zu den Städten und Dörfern im Epizentrum des Erdbebens sind die Zahlen geringer. Aber es fällt schwer, Menschen zu trösten in einer Stadt, die in den letzten zehn Jahren durch den Krieg zerstört worden ist, die sich mühsam durch die ersten Schritte des Wiederaufbaus gekämpft hat und nun erneut Tod und Zerstörung erfährt. 

Die Kirche ist für die Menschen nach dem Erdbeben ein Schutzort, genau wie sie es während des Krieges war. Haroutune Selimian: „Auch als die Raketen fielen, kamen die Menschen in die Kirche und sagten: ‚Besser wir sterben zusammen hier als allein zu Hause.“ Jetzt sind sie wieder da, schlafen dicht gedrängt und in Winterkleidung mit Decken auf den Stühlen und auf den Matratzen.
„Was kann ich einer Familie sagen, deren Wohnung die Ersparnis ihres Lebens war und jetzt kaputt ist?“, fragt sich Pfarrer Selimian. „Was kann ich den jungen Menschen sagen, die keine Zukunft mehr sehen? Ich kann ihnen nichts sagen. Manchmal kann man nur schweigen.“ Es gibt Situationen, in denen eine Decke und eine warme Mahlzeit mehr Hoffnung vermitteln als Worte, die den Riss in der Seele nicht heilen können.

Es ist noch unklar, wie es um die Gebäude der Gemeinde wirklich steht. „Wir wissen nicht, ob die Kirche Schäden hat. Erst wenn es regnet, werden wir merken, ob das Dach dicht ist“, sagt Pfarrer Selimian. Äußerlich sind nur einige Ziegel vom Kirchendach heruntergefallen. Es gibt jedoch Risse in der Poliklinik und im Schulgebäude der Gemeinde. Einige Mauern sind beschädigt. Selimian: „Wir müssen jetzt auf die Berichte von Statikern warten. Dann wissen wir, ob wir reparieren können oder abreißen und neu bauen müssen.“

Kraftquellen

Wo kommt die Kraft her, seit Jahren Menschen in verzweifelter Not zur Seite zu stehen, nicht zu resignieren, nicht ins Ausland zu gehen und alles hinter sich zu lassen?
„Das ist der Ruf, den ich seit 30 Jahren jeden Tag immer wieder neu fühle“, sagt Pfarrer Selimian. „Katastrophen können dich schwächen oder sie können dich noch stärker und entschiedener machen. Wie ein Diamant, der unter hoher Temperatur geschliffen wird. Meine Energie wird erneuert und ich werde noch konzentrierter. Außerdem habe ich viele Pfarrer und Laien, die mich unterstützen. Gott hat einen Plan mit mir, weil ich überlebt habe. Ich habe den schlimmen Krieg überlebt und Corona und das Erdbeben. Gott hat mich in allen Situationen bewahrt. Gott hat einen Plan mit mir. Das ist das, was ich glaube.“

Hilfe in existenzieller Not

Zahlreiche Kriegsflüchtlinge, die sich bisher in der Türkei aufgehalten haben, würden jetzt zurückkehren, vermutet Pfarrer Selimian: „Ein neues Haus in der Türkei zu bauen, macht für sie wahrscheinlich keinen Sinn. Dann lieber in der Heimat.“
Es wird also noch mehr Obdachlose Menschen in der Stadt geben. Die zurückkehrenden Familien und Menschen, deren Häuser nach der Sicherheitsprüfung evakuiert werden müssen, weil sie einsturzgefährdet sind und abgerissen werden müssen. Und es gibt, wie schon im Krieg, verschiedene Gruppen, die im Land agieren, geleitet von eigenen Machtinteressen und nicht von den Interessen der Menschen, die hier leben.

Die Bethelgemeinde mit ihrem Pfarrer und Freiwilligen versucht wieder einmal, den Menschen Halt, Nahrung und Hoffnung zu geben. Spenden hilfsbereiter Menschen aus dem Ausland sind dabei ein wichtiger Baustein. „In den Supermärkten gibt es genug Lebensmittel. Es braucht vor allem Geld“, sagt Pfarrer Selimian. Und hofft, dass die über Syrien verhängten Sanktionen gelockert werden. Im Interesse von Menschen in existenzieller Not.

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