Wie sieht der Alltag in der zunehmend eingekesselten Stadt Charkiw in der Ostukraine aus? Nikita Zhadan, der 20-jährige junge Mann, zu dem wir in den letzten zwei Wochen Kontakt gehalten haben, schrieb uns gestern:

„Die Läden sind größtenteils leer. In dem Laden, in dem ich vor einigen Tagen einkaufen wollte, gab es nur noch Süßigkeiten und Eis. Es gibt in der ganzen Stadt nur noch wenige Supermärkte, die überhaupt Essen anbieten und vor denen stehen die Menschen mehrere Stunden in der Kälte an, wie ich gehört habe. Andere haben wiederum gar keinen Zugang zu humanitärer Hilfe, weil sie in U-Bahn-Stationen und Kellern ausharren und sich nicht auf die Straße trauen aus Angst vor Angriffen. Ich habe zum Glück noch einige Vorräte in meiner Wohnung.

Seit Sonntag gibt es keine Heizung und kein warmes Wasser mehr. Aber immerhin habe ich noch Strom und Wasser, das ist gut …

Bei den Luftangriffen, die meist abends beginnen,
wackeln das Haus und die Scheiben. Das ist wirklich beängstigend. Bei Luftalarm gehe ich in den zentralen Flur des Hauses, wo die tragenden Wände sind. Ich persönlich schaffe es einfach nicht, stundenlang im dunklen Keller des Hauses auszuharren. Die letzte Nacht war glücklicherweise ruhig!

Meine Familie konnte fliehen und ist jetzt in Sicherheit. Ich muss hier bleiben, weil ich als Mann das Land nicht verlassen darf. Das nutze ich, um mit meiner Kamera die Zerstörung und das Leben der Menschen im Krieg zu dokumentieren. Ich nehme Risiken auf mich und lege meine Seele in die Bilder. Die russische Propaganda spricht davon, dass keine zivilen, sondern nur militärische Ziele getroffen werden. Das ist eine Lüge. Ich will, dass die Welt die Wahrheit über diesen Krieg erfährt.“