„Die Familien sitzen abends bei Kerzenschein zusammen“. Was
gemütlich klingt, ist im Libanon erzwungene Realität. So erzählt es Pfarrerin
Najla Kassab beim vierten Frauentalk weltweit am 7.10. über Zoom. Durch die
schwere Energiekrise gibt es nur wenige Stunden am Tag Strom. Und es mangelt an
Treibstoff. Auch unabhängig von Corona müssen die Menschen im Libanon zu Hause
bleiben: Sie können schlicht ihre Autos nicht mehr betanken. Und wenn doch, mussten
sie stundenlang dafür anstehen. Einen öffentlichen Nahverkehr gibt es nicht. „Wir
wünschen uns alle so sehr, einmal wieder am Wochenende in unser schönes
Libanongebirge zu fahren, aber das geht im Moment nicht“, sagt Najla Kassab.

Noch schlimmer als die Strom- und Treibstoffknappheit trifft
die Menschen der allgemeine Preisanstieg. „Die Lebensmittel sind seit 2020 um
400 % teurer geworden. Wegen der rasanten Inflation fallen die Löhne. Drei
Viertel der Menschen leben unter der Armutsgrenze. Die Menschen verlassen das
Land, vor allem die Gebildeten.“ Najla Kassab zeigt ein Foto von einer Schlange
am Flughafen in Beirut: „Mir tut es so weh, zu sehen, wie die Menschen weggehen.
In so einer Situation können wir uns als Kirche nicht auf das Beten beschränken.
Wir versuchen zu helfen, wo wir können, vor allem mit Lebensmitteln, und mit
Medikamenten.“

Hoffnung gibt Najla Kassab ein Projekt der GAW-Frauenarbeit:
Im kirchlichen Altenheim Hamlin konnte mit Hilfe des Jahresprojekts eine
Solaranlage auf dem Dach installiert werden. „Damals, als wir dieses Vorhaben beschlossen
haben, war die Energiesituation noch nicht so schlimm. Nun kommt das Projekt
gerade zur rechten Zeit. Es war prophetisch!“ Nun plant die Kirche, noch mehr
Einrichtungen mit Solaranlagen zu versehen, um sauberen und verlässlichen Strom
von der Sonne zu erzeugen.

Dass Najla Kassab heute Pfarrerin ist, war lange Zeit
undenkbar. In den 1980er Jahren konnten Frauen im Libanon nur Religionspädagogik
studieren, nicht Theologie. Also ging sie mit 22 Jahren in die USA, nach
Princeton, und machte dort ihren Theologie-Abschluss. Doch dableiben wollte sie
nicht: „Ich wollte meiner eigenen Kirche dienen.“ 1993 erhielt sie als erste
Frau in ihrer Kirche die Lizenz zum Predigen, aber erst 2017 wurde sie richtig
ordiniert. Im gleichen Jahr wurde sie zur Präsidentin der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen gewählt. Ein beeindruckendes Erlebnis war es für sie als Protestantin, 2017
auf der Kanzel Luthers in Wittenberg zu predigen.

Mit Unterstützung des Jahresprojekts hat das Frauenkomitee
der Kirche, deren Leitung Najla Kassab hat, eine dreijährige Fortbildung für
Frauen geplant, um ihre seelische Gesundheit und ihr Selbstbewusstsein zu
stärken, gerade in so einer schwierigen Situation. Am Ende ihrer Erzählungen
gibt Najla Kassab zu, dass es im Moment unklar ist, wie es im Libanon
weitergehen wird und ob es überhaupt jemals besser werden wird. „Aber als
Kirche sind wir aufgerufen, eine Kirche der Hoffnung zu sein!“