Kirchenpräsidentin Sílvia Genz

Die brasilianische Gesellschaft ist tief gespalten. Besonders deutlich wurde dies nach der Wahl des neuen Präsidenten Bolsonaro und seinen politischen Vorstellungen. Der Schutz des Regenwaldes hat keine Priorität, stattdessen wird die Agrarlobby gestärkt, die mehr nutzbare Fläche will. Auch indigene Gruppen werden vertrieben. Im Mai gingen über eine Millionen Menschen auf die Strasse , um gegen die Kürzungspolitik im Bildungsbereich zu protestieren. In über 200 brasilianischen Städten wurden Menschen mobilisiert um, dem „Trump der Tropen“ – so auf einem Plakat zu lesen – etwas entgegen zu setzen. Die Kürzungen in den Renten verschärft die Not vieler Rentner. Ein wichtiger Aspekt von Bolsonaros Wahlkampf war die Lockerung des Waffengesetzes. Das befördert zusätzlich die Gewalt im Land – entgegen der Vorstellung, dass dadurch mehr Sicherheit entsteht. Dazu kommen weitere Themen, die polarisieren – wie z.B. die grassierende Korruption im Land, die in jeder Gesellschaft wie ein Krebsgeschwür wirkt. 

All diese Themen, die in das alltägliche Leben der Menschen hineingreifen, wirken sich auch aus auf die Lutherische Kirche in Brasilien (IECLB).

Angesichts der polarisierten innenpolitischen Situation in Brasilien hat die IECLB Ende März eine Erklärung abgegeben, in der sie zu einem kirchlichen und gesellschaftlichen Klima der Liebe, des Friedens und der Gerechtigkeit aufruft. „Gravierende wirtschaftliche Ungleichverteilung und die Dominanz von wirtschaftlichen Interessen über die Bewahrung der Schöpfung führten zu Umweltkatastrophen und Klimawandel und machten Frieden für jetzige und künftige Generationen unmöglich. Anstelle des Gemeinwohls sei die Politik von persönlichen Interessen einzelner Gruppen dominiert und in der Politik herrsche, wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen, Korruption. Auch die geplante Rentenreform lasse den Blick auf das Gemeinwohl vermissen. Nicht die Lockerung von Waffengesetzen, sondern die Frage nach den Ursachen von Gewalt könnten dauerhaften gesellschaftlichen Frieden bringen. Der Begriff „fake news“ verharmlose das Lügen; Meinungsfreiheit werde mit der Möglichkeit verwechselt, Botschaften des Hasses zu streuen“, heißt es in dem Schreiben IECLB. Neben dem bereits existierenden Einsatz der Kirche für Gendergerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz seien alle Gläubigen aufgerufen, sich noch mehr für das Gemeinwohl und gesellschaftlichen Frieden einzusetzen.

Unter den Gemeindemitgliedern stieß die Erklärung auf gemischte Reaktionen. Neben Zustimmung gab es auch Stimmen, welche das Manifest als „linke Positionierung für die PT [Partido Trabalhador] und Greenpeace“ kritisierten. Vor allem das Thema Agroindustrie spaltet die Kirche, unter deren Mitgliedern Vertreter und Gegner der Agroindustrie sind.