Chile ist ein im Katholizismus tief verwurzeltes Land. In den letzten Jahrzehnten sind aber vor allem die Pfingstgemeinden stark gewachsen. Es gibt inzwischen an die 2.000 evangelische Freikirchen („Evangélicos“). Zwischen beiden „Lagern“ bestehen keine besonders guten Beziehungen. Für viele Katholiken sind die „Evangélicos“ Sektierer und für die „Evangélicos“ sind die Katholiken zu bekehrende Abergläubige … Es waren die Pfingstler, die Martin Luther als „Identitätsfigur“ entdeckten und erreicht haben, dass der 31. Oktober in Chile als nationaler Feiertag der evangelisch-protestantischen Kirchen offiziell eingeführt wurde. Die Lutheraner leben hier als Bürger zwischen den Welten: Zunächst existierte die Lutherische Kirche als deutsche Einwandererkirche in der Diaspora. Lutherisch bedeutete so viel wie „gut deutsch“: gute Arbeit, gute Familie, gute Musik, gutes Essen, gutes Bier und deutsche Sprache. Bis heute gibt es solche „Traditionslutheraner“. Aber es gibt auch „Optionslutheraner“: Menschen, die sich aus historischen, sozialen, theologischen oder persönlichen Gründen für die reformatorischen Botschaft, für die Freiheit des Christenmenschen, für das Priestertum aller Gläubigen, für die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, für die demokratischen Struktur der Kirche interessieren. Es haben sich kleine lutherische Missionsgemeinden mit starkem sozialen Engagement und prophetischem Wächteramt gebildet. Leider haben sich 1975 die Lutheraner aus politischen Gründen gespaltet. Wir sind aber auf dem Weg der Wiedervereinigung und hoffen so, wieder ein besseres und glaubhafteres Zeugnis bieten zu können. So kann die lutherische Kirche eine ökumenische und vermittelnde Funktion und Mission erfüllen: als Weltgemeinschaft im Gespräch mit den Katholiken und als erste evangelische Kirche im Gespräch mit den „Evangélicos“. Im Sinne des Lutherischen Weltbundes möchten wir dazu beitragen, dass das 2017-Jubiläum nicht gegen, sondern mit allen gefeiert werden kann. Dazu ist das Dokument „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ eine große Hilfe. Es wird allen ernsthaft Interessierten helfen, sich eine ökumenische Meinung über das reformatorische Erbe bilden zu können. Wir beten, dass der Herr uns den Raum und die Fähigkeit zu offenem, ehrlichem und christlichem Dialog schenken möge.

Siegfried Sander ist Bischof der Lutherischen Kirche in Chile (Quelle:http://www.2017gemeinsam.de/)