Die Landstraßen gehören zurzeit den „Caminhões“, den
Lastwagen. Vollbeladen brettern sie mit beträchtlicher Geschwindigkeit über den
Asphalt. Für PKWs ist es eine 
Geduldsprobe, einen nachdem anderen zu überholen oder dahinter zu
bleiben. „Es ist die Zeit der Sojaernte. Sie fahren entweder in die Ölpresse
oder zur Kooperative oder gleich zum Hafen nach Rio Grande südlich von Porto
Alegre, um ihre Ernte abzugeben“, klärt uns Harti auf und versucht zum dritten
Mal erfolglos, an zwei dieser schweren Wagen vorbeizukommen. „Dieses Gebiet um
Passo Fundo etwa 300 km nordwestlich von Porto Alegre im Bundesstaat Rio Grande
do Sul lebt hauptsächlich vom Sojaanbau. Zwar wird im Winter, das heißt jetzt
bald, auf den riesigen Feldern meist Weizen gesät, aber das wichtigste Produkt
ist Soja“.

Wir besuchen Hartis Mann Adelar bei der Ernte, um uns einen
eigenen Eindruck zu verschaffen. Zusammen mit seinem Bruder und Vater
bewirtschaften sie etwa 150 ha Land. „Alles Soja“, zeigt uns Adelar mit einer
Armbewegung über die Felder und wendet sich dann wieder besorgt seiner riesigen
Erntemaschine zu, die er versucht zu reparieren. Ein Schneidemesser ist kaputt
gegangen. Das kostet ihn schließlich zwei Tage bei der Erntezeit. Meist
übernimmt er die Reparaturen selbst, aber dieses Mal gelingt das nicht.

Ihre Ernte beträgt durchschnittlich 420 000 kg Soja im Jahr,
erfahren wir, an einem Tag erntet er 600 bis 700 kg, heute allerdings nicht.
„Drei Familien können davon gut leben“, meint Hart, allerdings hat sie ihr
Gehalt als Juristin und der Schwiegervater seine Rente. Die Familie des
Schwagers lebt ganz von der Landwirtschaft. „Ja, der Soja ist genverändert“,
bestätigt Adelar. „Das bringt viele Vorteile, vor allem müssen wir weniger Gift
spritzen“. Die möglichen Langzeitfolgen sind allerdings noch nicht bekannt, das
gibt er auch zu. Offenen Protest dagegen scheint es in großem Maßstab nicht zu
geben. Gelegentlich findet wir ein Graffiti: „Não aos Trangênicos“ (Keine
genbehandelten Produkte), aber das ist leicht zu übersehen.

Auch Adelar bringt seine Soja in die Kooperative, die für
ihn verkauft. Die größten Abnehmerländer sind China und die USA, die USA vor
allem auch, um den Preis zu bestimmen. Zurzeit ist der Preis stabil, aber, so
habe ich gerade in der „Correio do Povo“, der Tageszeitung aus Porto Alegre
gelesen, die Landesdeputiertenkammer hat ein Gesetz zur hohen Besteuerung (über
9 %) von Soja verabschiedet. Adelar bestätigt das. „Ja, das werden wir Anbauer
zahlen müssen“: Auch die Anschaffung und Wartung der großen Maschinen
verschlingt eine Menge Geld. Allerdings braucht man heute zum Sojaanbau nicht
mehr viele Arbeitskräfte. Adelar hat jetzt nur einen weiteren Mann dabei, der
die Erntemaschine dahingehend bedient, dass die Sojabohnen gleich auf den
Lastwagen verladen werden.

Wie es allerdings für ihn und seine Familie mit dem
Sojaanbau weitergehen wird, ist unklar. Mein Mann Martin, der Anfang der 1970er
Jahre in diesem Gebiet Pfarrer war, erinnert sich sehr genau, wie die Bauern,
die eine Mischwirtschaft betrieben, auf Soja und Weizen umgestellt haben. Das
war auch bei Adelars Vater so. „Du kannst heute nur noch eine Sache machen“,
erklärt Adelar. Tiere haben sie gar nicht mehr. Dadurch sind die Bauern auch
weniger ans Haus und ans Land gebunden, können sogar wie Adelar in der Stadt
wohnen. Klar ist, dass seine beiden Töchter und auch die zukünftigen
Schwiegersöhne beruflich andere Wege gehen. Das ist auch bei seinem Bruder so.
Das wird wieder große Veränderungen bringen.

Einmal war die Evangelische Kirche Lutherischen
Bekenntnisses in Brasilien (EKLBB) eine Kirche vornehmlich der ländlichen
Bevölkerung. Dazu waren die in Deutschland verarmten Bauern ja auch ins Land
gerufen worden. In dieser Gegend hat der Sojaanbau viele wohlhabend gemacht.
Die Verarmten auf der Schattenseite sind weiter gezogen. Klar scheint, dass die
nächste Generation in der Stadt leben wird. Dabei erinnere ich mich wieder an
das Gespräch mit dem Kirchenpräsidenten der EKLBB, Dr. Nestor Friedrich, in dem
er sagte: “Das Thema der Stadt beschäftigt uns zunehmend.“ –

Vera Gast-Kellert, Leiterin der GAW-Frauenarbeit