Vom Lutherischen Weltbund erreicht uns folgender Text:

LWI-Ratstagung – Pressemitteilung Nr. 06/2012

Gewalt vermischt sich mit Wirtschaft, Drogenhandel und mafiösen Strukturen,
so Menschenrechtsaktivist

BOGOTÁ, Kolumbien/GENF, 18. Juni 2012 (LWI) – „Ich saß mit meinen
Kindern beim Mittagessen, als plötzlich durch die Wände auf uns geschossen
wurde“. Mit diesen Worten beginnt die 50-jährige Kolumbianerin Ruth Sanabria von
ihrer ersten Vertreibungen aufgrund des gewalttätigen Konflikts zu berichten.
„Am nächsten Tag wurde ich aufgefordert, mein Haus zu verlassen, sonst würden
meine zwei Kinder umgebracht.“ Ihr persönlicher Bericht eröffnete das
Hauptpodium der LWB-Ratstagung mit Partnern des Lutherischen Weltbundes (LWB)
aus Kolumbien zu der humanitären Krise und dem bewaffneten Konflikt in dem
Land.

Die vier kolumbianischen PodiumsteilnehmerInnen Ruth Sanabria, Vater Sterlin
Londoño, Ricardo Esquivia und Diego Perez Guzmán, kritisierten gemeinsam die
Rolle ihres Staates in den Jahrzehnte andauernden Auseinandersetzungen zwischen
Militär, Paramilitär und Guerilla-Gruppen. So trug der Soziologe Guzmán dem Rat
seine Analyse vor, laut der der Konflikt inzwischen eine neue Stufe erreicht
habe. Nachdem anfangs ideologische Motive die Etablierung der Guerilla-Gruppen
ermöglichten, hätte in einer zweiten Phase der Drogenhandel zu mafiösen
Strukturen geführt, die die staatlichen Institutionen durchdrängen. Beide Stufen
des Konflikts seien noch ungelöst. Als neue Stufe sieht Guzmán die Entwicklung
der letzten Jahre, dass sich vermehrt internationale Konzerne in
krisengeschüttelten Regionen Kolumbiens niederlassen und ohne Rücksicht auf
Menschenrechte ihre Interessen durchsetzen. „Sie bezahlen Guerillas, das Militär
oder die Paramilitärs für ihre Interessen“, so Guzmán. „Das ist der neue
Wirtschaftskrieg in Kolumbien!“

Vater Sterlin Londoño von der katholischen Diözese Quidbó, einem Partner des
kolumbianischen Weltdienstprogrammes des LWB, prangerte an, dass der Staat
wirtschaftliche Interessen gegenüber den Menschen bevorzuge: „Zuerst hat man den
Afro-Kolumbianern das kollektive Recht auf ihr Land [wieder] zugesprochen. Aber
als man entdeckte, dass es dort Bodenschätze und Wasser gibt, sind die
internationalen Konzerne gekommen und wollten das Land haben.“ Von 70.000 Hektar
Land, die in seiner Region an die Bevölkerung zurückgegeben wurden, seien heute
50.000 Hektar für den Rohstoffabbau reserviert. Die Konzerne gingen dabei
rücksichtslos gegenüber der Bevölkerung vor: „Auf dem Land werden Mienen
verlegt, damit die Menschen darauf nicht mehr arbeiten können!“

Gemeinsam mit dem Menschenrechtsanwalt Ricardo Esquivia kritisierte er, dass
gesetzliche Regelungen nicht eingehalten oder kurzfristig geändert werden.
Esquivia zog dabei Parallelen zu den 70er-Jahren. Als die vom Staat beschlossene
Landreform auf Widerstand der Großgrundbesitzer stieß, habe man einfach das
Gesetz geändert und die Armee und die Polizei in die Region geschickt, um gegen
die protestierenden Bauern zu kämpfen. Auf diese Weise habe der Staat selber den
Konflikt befeuert, weil die Kleinbauern dadurch in die Arme der Paramilitärs und
Guerillas getrieben wurden.

Durch die anhaltende Gewalt hat der kolumbianische Staat über Jahrzehnte
seine Arme und Polizeikräfte massiv ausgeweitet. Diese fortschreitende
Militarisierung des Landes, sehen die PodiumsteilnehmerInnen als gefährliche
Entwicklung an. „Wir sind nicht das größte Land in Lateinamerika, aber haben die
größte Armee“, stellte Vater Sterlin fest, „eine Armee, die [zeitweise] die
Menschenrechte verletzt und in Verbindung mit paramilitärischen Aktionen steht.“
Für Perez Guzmán wird der Konflikt auch durch den von den USA unterstützen
„Krieg gegen Drogen“ (Plan Colombia) genährt. „International sagt man, dass es
der Vergangenheit angehört, dass Millionen US-Dollar an ausländisches Militär
fließen [um seine Interessen durchzusetzen], aber das stimmt nicht! Heute wird
die dritte Phase des Konflikts, die Landkonsolidierung, unterstützt.“

Trotz der teils harschen Kritik an den staatlichen Institutionen, betonten
die PodiumsteilnehmerInnen die Bereitschaft der zivilgesellschaftlichen Gruppen
und die Notwendigkeit, mit dem Staat zusammen an der Lösung des Konfliktes zu
arbeiten. Guzmán unterstrich dabei die zentrale Rolle der Zivilgesellschaft in
dem Friedensprozess: „Wir glauben, dass wir unten beginnen müssen mit dem Aufbau
einer Gesellschaft und eines Landes in Frieden. Frieden ist nicht das Ergebnis
eines Erlasses!“ Auch Opfer und die, die gelitten haben, müssten an den Prozess
beteiligt werden.

Zum Ende des Podiums dankten die TeilnehmerInnen dem LWB für seine
Unterstützung. Gleichzeitig riefen sie die lutherische Gemeinschaft auf, die
anwaltschaftliche Arbeit und den politischen Druck in ihrer Heimat nicht
aufzugeben. Der Präsident des LWB, Bischof Dr. Munib A. Younan, sicherte den
Partnern in Kolumbien die weitere Unterstützung und das Gebet der Communio zu.
„Wir werden überall wo wir sind, Ihre Stimme sein – die Stimme der Armen und
Unterdrückten in Kolumbien!“ (679 Wörter)

Mehr über die TeilnehmerInnen des Podiums unter: http://blogs.lutheranworld.org/wordpress/council2012/keynote-panel/