„Nowosaratowka liegt ruhig, abgelegen vom Lärm der Großstadt St. Petersburg direkt an der Newa und ermöglicht es unseren Studenten, sich ohne Ablenkung auf das Studium zu konzentrieren“, erzählt Dr. Anton Tichomirov, Leiter der Theologischen Ausbildungsstätte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland (ELK). „Andererseits ist die Lage kompliziert, sowohl vom Ort, als auch von der Situation her“, fährt er fort.
Dr. Hüffmeier, Anton Tichomirov und Vera Gast-Keller |
Die lutherischen Kirchen in Russland und in den angrenzenden Staaten, die in einem Verbund sich zusammen geschlossen haben, sind geschrumpft. Sie brauchen z.Zt. keinen Theologennachwuchs. Zudem ist die Interessenlage sehr unterschiedlich. Fortbildungen finden häufig auf lokaler Ebene statt, was durchaus zu verstehen ist, denn aus Wladiwostok oder Kirgisien anzureisen ist sehr teuer. Auch die theologischen Ausrichtungen sind unterschiedlich. Ein Absolvent erzählte Anton Tichomirow einmal in Sibirien: „Ich studierte in Nowosaratowka, weil meine Kirche das verlangte. Ich habe getan, was von mir erwartet wurde. Hinter der liberalen Ausrichtung der Fakultät stehe ich nicht. Es fehlt die Herzensfrömmigkeit.“ Andere Regionen in Russland haben mit der evangelikalen Bewegung zu tun, die oft sehr einlinig ist. „Gerade diese Bewegung nimmt zu“, erläutert Tichomirow.
Theologische Ausbildungsstätte in Novosaratovka |
In diesem Jahr werden elf von den derzeit 14 Studierenden das Seminar verlassen. Sie haben ihre Abschlüsse dann gemacht. Ob sie in den Kirchen übernommen werden ist fraglich. Drei Studierende bleiben noch. Wenn sich keine neuen finden, wird es schwierig. „Wir sind Gott dankbar für jedes weiter Jahr“, sagt Tichomirow. „Aber ob es uns 2013 so noch geben wird, darüber wird diskutiert.“
Es gibt verschiedenen Zukunftsmodelle. Ein Modell sieht ein Zusammengehen mit der Ausbildungsstätte der ingermanländischen lutherischen Kirche vor. Ein anderes Modell schlägt eine Konzentration in der Petrikirche vor. Und ein weiteres Modell überlegt, die Ausbildung virtuell durchzuführen, wie es in anderen Kirchen schon umgesetzt wurde, z.B. in Kolumbien. Das alles sind schwerwiegende Entscheidungen. Nur – wer wagt sie zu treffen? Ein weiterer wesentlicher Faktor dabei sind auch die ausländischen Geldgeber, die EKD, der LWB, die nordamerikanischen Unterstützer. Wie lange können sie hier noch fördern?
Anfang der 90er Jahre hatte man sich in Nowosaratowka viel vorgenommen. Und viele der derzeitigen Pfarrer in den russischen Kirchen haben hier ihre Ausbildung absolviert. Zudem rechnete man mit noch viel mehr Lutheranern. Man erhoffte sich ein Aufblühen lutherischen Lebens. Das ist so nicht eingetroffen, auch durch die große Auswanderungswelle nach Deutschland. Inzwischen rechnet man mit ca. 15 – 20.000 Lutheranern in allen Gliedkirchen der ELKRAS (Russland, Georgien, Aserbaidschan, Kasachstan, Usbekistan, Kirgisien, Ukraine). – Pfarrer Enno Haaks
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