Pfarrer Matthias Burghardt von der deutschsprachigen Gemeinde in Tallinn berichtet in seinem Gemeindebrief aus Estland: „Um Estlands Zukunft ging es auch beim größten Streik seit Wiedererlangung der Unabhängikeit am 7. März. Ein Jahr und einen Tag nach den Parlamentswahlen traten Lehrer und Transportarbeiter in einen 1- bis 3-tägigen Ausstand. Grund war die Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik in den Schlüsselfragen Bildungs- und Beschäftigungspolitik. Eine neue Bildungsreform soll Ausgaben einsparen. Die Lehrergewerkschaft befürchtet Zusammenlegung von Schulen und Erhöhung der Arbeitsbelastung nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Das alles geschieht vor dem Hintergrund steigender Preise (der Liter Benzin wurde seit Jahresbeginn um etwa 15 Cent teurer, Strompreiserhöhungen sind für den Sommer angekündigt, Lebensmittelpreise teilweise über deutschem Niveau) und einer spürbaren Auswanderungswelle, gerade der Elitekräfte.
Bei der Demonstration wurde ein Plakat gezeigt: „Lehrerdurchschnittsgehalt in Griechenland: 1900 Euro, in Estland: 670 Euro. Entschluss: Unterstützen wir Griechenland.“ Es zeigt die Bitterkeit über die geplante Teilnahme am Euro-Rettungsschirm. Nun ist fraglich, ob es überhaupt dazu kommt, da der Rechtskanzler (eine Art Appellationsinstanz) dagegen vor dem Verfassungsgericht geklagt hat. Estlands Grundgesetz verbietet dem Staat die Aufnahme von Schulden. Der Rettungsschirm würde aber genau das verlangen, da der Staatshaushalt die nötigen Mittel nicht aufweist. Der Bildungsminister verwies in einer Stellungnahme zum Streik auf die Bildungsreform und versprach, dass noch in diesem Jahr kein Lehrer mehr unter 700 Euro verdienen solle. So vernünftig es ist, den Weg der Staatsverschuldung nicht mitzugehen, Wohlstand nicht auf Kosten kommender Generationen zu finanzieren, und so wenig man vom Staat ein dichtes soziales Netz wünscht (die Probleme, die das mit sich brächte, sind auch hier bekannt, etwa die langfristige Finanzierbarkeit des Systems, eine wachsende Erwartungshaltung der Bürger, Erlahmen freiwilliger Hilfsstrukturen, Zuwanderung nicht in die Gesellschaft, sondern ins soziale Netz usw.), so sehr scheint doch die Grenze des Erträglichen nun so langsam überschritten zu sein.“
Kommentare