Täglich fliegen in der Ukraine Drohnen und Raketen, es sterben Menschen in ihren Dörfern und Städten und die Energieversorgung wird zerstört. Trotzdem oder aber gerade deswegen ist der Krieg in der Ukraine in den Köpfen vieler Menschen zu einer grausamen „Normalität“ geworden, berichtet Alexander Gross, Pastor der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine (DELKU) in einem Zoom-Gespräch.
In Odessa hat eine Frau aus der lutherischen Gemeinde diese „Normalität“ gerade auf schreckliche Weise erlebt. Ihre Wohnung wurde bei einem nächtlichen Angriff zerstört. Sie selbst blieb zum Glück unverletzt. „Ein Wunder für uns. Im Gottesdienst haben wir dafür gedankt“, sagte Pastor Gross.

in Nowohradkiwka. Foto: Gemeinde
Viele Ukrainer sind ins Ausland geflohen und die Gemeinden sind kleiner geworden. Doch Alexander Gross berichtet von einer bemerkenswerten Entwicklung: „Es kommen neue Leute. Einige unserer Gemeinden sind sogar gewachsen. Wir sind eine Oase geworden für Menschen, die Trost suchen und geistliche Unterstützung – und natürlich auch Hilfe.“
In der Kirche erleben die Menschen, dass das Leben trotz der schweren Situation weitergeht. Die Sozialarbeit ist mehr geworden, doch die geistlichen Angebote – Bibelstunden, Konfirmandenunterricht, Gottesdienste – sind das Herzstück. Menschen suchen Gott, suchen Antworten in einer Welt im Ausnahmezustand.
„Ich darf die Menschen nicht verlassen“
Für Alexander Gross selbst ist der Dienst mehr als nur Beruf. „Bei der Ordination habe ich versprochen, Gott und den Menschen zu dienen. Ich stehe zu diesem Gelöbnis. Ich muss da sein und darf die Menschen nicht verlassen. Das ist Verantwortung vor Gott und den Menschen.“ Die intensive Arbeit mit zwei bis drei Bibelstunden und genauso vielen Gottesdiensten pro Woche gibt auch ihm selbst Kraft.
Auch die Gemeinden nehmen die Situation, wie sie ist. Sie leben einfach. Und sie feiern. Sie bauen Kinderspielplätze und wollen Räume gestalten, die Menschen zusammenbringen – gerade jetzt. „Sonst wird man verrückt“, sagt Alexander Gross. Er hat eine dringende Bitte an die Partnerkirchen in Deutschland und weltweit: „Wir brauchen Menschen, die uns besuchen! Betet für uns! Wir brauchen das: gesehen zu werden und zusammen zu sein.“
Neben der spirituellen und seelischen Unterstützung arbeitet die Kirche auch an konkreten Hilfsangeboten. Die Sterberate von älteren, einsamen Menschen ist im Winter dreimal so hoch wie sonst. Deshalb plant Alexander Gross, kleine Zentren für solche Menschen zu schaffen.

Bauen für die Zukunft und den Frieden
Ein solcher Ort soll in Nowohradkiwka entstehen. Das historische lutherische Gotteshaus dort steht momentan noch als Ruine da und das gesamte Gemeindeleben findet auf dem Privatgrundstück des Pastors statt: Nachhilfe für Kinder im Keller, Essen auf Rädern in der Küche, Gottesdienst in der kleinen Kapelle auf dem Hof. All das soll künftig ein Kirchen- und Diakoniezentrum in der alten Kirche beherbergen. Der Ausbau soll im Frühjahr beginnen. „Das ist das Projekt meines Lebens“, sagt Alexander Gross. Bauen trotz Krieg, um den Menschen zu zeigen: Wir bleiben hier, wir bauen auf die Zukunft, schaffen Oasen der Hoffnung.
Die Menschen in der Ukraine sind müde, traumatisiert. Sie brauchen Ruhe, ein normales Leben. Die Vorstellung eines gerechten Friedens fällt schwer. Zudem ist klar: Auch nach dem Krieg wird nicht alles gleich gut werden. Besonders die zerstörten Dörfer am Dnepr-Ufer, voller Minen und Bomben, stellen für lutherische Gemeinden eine Mammutaufgabe dar. „Wir müssen noch lange schwer arbeiten, um Menschen zu helfen“, schätzt Alexander Gross.
Das GAW will den Umbau der Kirchenruine in Nowohradkiwka zu einem Kirchen- und Diakoniezentrum im Rahmen des Projektkatalogs 2026 mit 35.000 Euro unterstützen. Bitte helfen Sie, Hoffnung zu stiften!
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