Bolivien erlebte nach dem Rohstoffboom 2014 einen wirtschaftlichen Aufschwung, der jedoch durch die COVID-Pandemie gebremst wurde und aktuell durch die Herausforderungen wie hohe Schulden, sinkende Erdgasproduktion und Benzinmangel belastet wird. Politisch eskaliert der Machtkampf zwischen Präsident Luis Arce und dem ehemaligen Präsidenten Evo Morales, der 2025 erneut kandidieren möchte, obwohl dies verfassungswidrig ist. Morales‘ Rückkehrversuche führen zu Protesten und Straßenblockaden, während gegen ihn Ermittlungen wegen Missbrauchsvorwürfen laufen.

Bolivien steht vor der Herausforderung, seine sozialistischen Ideale mit den wirtschaftlichen Realitäten in Einklang zu bringen und die sozialen Spannungen abzubauen.

Die Bevölkerung ist überwiegend katholisch (70 %), während die „evangelischen“ Kirchen (20 %) wachsen. In diesem komplexen Umfeld bewegt sich die lutherische Kirche, deren Mitglieder indigener Abstammung sind.

Andacht in der Kirchenzentrale

Die Bolivianische Evangelisch-Lutherische Kirche (Iglesia Evangélica Luterana Boliviana – IELB) wurde 1957 gegründet. Sie hat ihre Wurzeln in der 1937 begonnenen nordamerikanischen lutherischen Mission. Im Jahr 1969 beschlossen bolivianische Pfarrer lutherischer Gemeinden, eine einheimische Kirche zu gründen. Ein Grund war, dass die wachsenden Aymaragemeinden Positionen in der Kirchenleitung beanspruchten, was von den nordamerikanischen Missionaren nicht gewollt war. Es führte zu einer Abspaltung, die auch heute noch besteht.

1971 erlangte die Kirche ihre staatliche Anerkennung. Nachdem die US-amerikanischen Missionare 1972 Bolivien verlassen hatten, wurde die IELB noch im selben Jahr als selbständige Kirche gegründet. 1975 trat die IELB dem Ökumenischen Rat der Kirchen bei, ein Jahr später dem Lutherischen Weltbund. Seit 1949 gibt es in Bolivien eine evangelisch-lutherische Gemeinde deutscher Sprache. Zwischen ihr und der IELB besteht ein regelmäßiger Kontakt.

Emanuelgemeinde in El Alto

Die IELB umfasst ca. 100 Kirchgemeinden mit zehn Filialen und zusätzlich 30 Predigtorte. Sie befinden sich in elf Distrikten in den Regionen La Paz, Santa Cruz, Cochambamba y Pando. 60-70 Pastoren, die nicht alle ordiniert sind, begleiten die Gemeinden. Es gibt fünf Pastorinnen, wobei lediglich eine in einer Gemeinde arbeitet. Die Kirche zählt ca. 10.000 Mitglieder. Davon leben 65 % in ländlichen, insbesondere in benachteiligten und armen Gebieten. Häufig treibt die Not die Menschen dazu, in die Städte zu emigrieren. 35 % der Kirchenmitglieder leben inzwischen in den großen Städten La Paz, Cochabamba, Santa Cruz und Cobija-Pando. Die Integration in die lutherische Gemeinden in den Städten ist nicht einfach. Die Gemeinden stellen sich diesen Herausforderungen und haben Programme entwickelt, insbesondere in Bildungsfragen. Während die ländlichen Gemeinden lunter einem spürbaren Mitgliederverlust leiden und einige deshalb schon geschlossen wurden, sind in den Städten neue Gemeinden enstanden. Zunehmend immigrieren die Menschen inzwischen auch nach Spanien, Argentinien, Chile und Brasilien, um dort zu arbeiten.

70 % der Gemeindeglieder sind Bäuerinnen und Bauern, Arbeiter und kleine Händlerinnen und Händler – darunter auch viele Migrantinnen und Migranten. Sie alle sind den unteren sozialen Schichten zuzuordnen.

Der Kirchenpräsident Freddy Choque Rondo ist seit 1 ½ Jahren im Amt. Zuvor hat er 35 Jahre in einem anderen Beruf gearbeit und am Wochende als Pastor seinen Dienst an der Kirche versehen. Als Kirchenpräsident hat er nun seinen Beruf aufgegeben, verdient allerdings die Hälfte seines vorherigen Gehalts.