Evangelische Gemeinde mit Pastor Sarkis (li) und
Pastor Hovhannes

„Es ist nicht selbstverständlich, dass ihr nach Goris gekommen seid“, sagt Pastor Hovannes Hovsepyan beim Treffen im Gemeindezentrum der evangelischen Gemeinde der Stadt. Goris liegt nicht weit von der aserbaidschanischen Grenze entfernt. „Manche fühlen sich nicht sicher, hierher zu kommen.“

Aserbaidschan hatte im Dezember 2022 begonnen, die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region Arzach (Bergkarabach) zu blockieren. Monatelang war Arzach isoliert. Die Situation war katastrophal, die Menschen hungerten. Im September 2023 begann Aserbaidschan eine erneute Offensive auf die armenische Exklave. Bereits tags darauf wurde unter Vermittlung Russlands eine Feuerpause vereinbart. Aserbaidschan erklärte den militärischen Sieg über Armenien im Bergkarabach-Konflikt. Es setzte eine Massenflucht der armenischen Bevölkerung Bergkarabachs nach Armenien ein. 120.000 Armenier verließen überhastet die Region über den Latschin-Korridor. Goris war die erste Station. Die 13.000- Einwohnerstadt tat alles, um die Geflüchteten zu versorgen, deren Hoffnung auf Rückkehr unischer bis aussichtlos ist. Einige blieben nur kurz. Andere, die keine Verwandten in Armenien hatten, mussten sich erst einmal orientieren bis klar wurde, wohin es für sie gehen konnte.

Auch in der evangelischen Kirche in Goris nahm Pastor Sarkis mit seiner Frau Armini mehrere Familien auf. Mit Freiwilligen und Mitarbeitenden der armenisch-amerikanischen Hilfsorganisation AMAA beteiligte sich die Gemeinde an der Versorgung und Unterbringung. In der Kirche selbst blieben die Geflüchteten einen Monat. Einige von ihnen hatten das erste Mal Berührung mit der evangelischen Kirche und schätzten die Hilfe, die sie erfuhren.

Pastor Sarkis und seine Frau sind die Motoren der Gemeinde. „Uns fehlt ein Kirchengebäude, das als solches zu erkennen ist“, sagt Sarkis. „Und es wäre besser, wenn die diakonische und die pastorale Arbeit klarer voneinander unterschieden wären“, ergänzt er. „Manchmal können die Menschen zwischen der Hilfe und dem pastoralen Dienst nicht unterscheiden.“ Und er fügt hinzu: „Es wäre schön, wenn mehr Männer in der Kirchengemeinde aktiv wären. Das ist leider in der armenischen Tradition mit Scham besetzt. Vielleicht ist es auch ein Erbe der sowjetischen Zeit. Hier galt es, Stärke zu zeigen. Zur Kirche zu gehen wurde als Schwäche ausgelegt. Mit dieser Vergangenheit haben wir zu kämpfen. Es ist eine Herausforderung, auch den Menschen, die nie mit dem christlichen Glauben in Berührung kamen, Orientierung zu geben.“

Kirchenraum im Gemeindezentrum

Goris selbst ist ein regionales Industriezentrum, wenngleich durch den Konflikt ein wirtschaftlicher Niedergang folgte, an dem die Stadt bis heute leidet. Im Straßenbild sind kriegsbedingte Zerstörungen nicht zu übersehen. Was die Zukunft bringen wird, ob es ein erneutes Aufflammen eines Krieges geben wird… – jedenfalls in der evangelischen Gemeinde ist man sich bewußt, dass man jetzt gefordert und gebraucht wird, um der Menschen willen. Sie wollen Kirche für und mit anderen sein!

Die Gemeinde in Goris selbst gibt es erst seit 27 Jahren. Sie ist bekannt durch das sozial-diakonische Engagement der Kirche und die evangelische Kinder- und Jugendarbeit. Über 100 Kinder und Jugendliche besuchen die Angebote der Gemeinde, die mit 30 Mitgliedern, die fast alle zu den sonntäglichen Gottesdiensten kommen, sehr viel leistet.