In diesem Jahr 2024 feiert die Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (Igreja Evangélica de Confissão Luterana no Brasil – IECLB ) 200 Jahre Präsenz und Zeugnis in Brasilien. „In Brasilien“ soll deutlich machen, dass die IECLB Teil des brasilianischen Kontextes ist und „in“ Brasilien Kirche mit allen daraus entstehenden Folgen sein will. Und die sind zahlreich in dem flächen- und bevölkerungsmäßig fünftgrößten Staat der Erde. Es ist das größte und mit über 214,3 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Land Südamerikas.
Das Jubiläum der lutherischen Kirche in Brasilien hängt eng mit der deutschen Auswanderung nach Brasilien zusammen. Diese begann mit der Unabhängigkeit des Landes 1822. Mit verschiedenen Versprechen versuchten Kaiser Dom Pedro I. und seine österreichische Gemahlin Maria Leopoldina , Bauern und Söldner für das junge Land anzuwerben. Vor allem im Hunsrück und der Pfalz befanden sich viele Menschen in einer dramatischen sozialen und wirtschaftlichen Lage. In der Auswanderung sahen manche die Chance, der Not zu entkommen.
Am 3. Mai 1824 traf die erste Gruppe von 324 Deutschen in der Stadt Nova Friburgo/RJ ein. Am 14. Juli 1824 feierte Pfarrer Otto Sauerbronn, der mit den ersten Einwanderern kam, in Nova Friburgo den ersten lutherischen Gottesdienst in Brasilien.
Professor Roger Wanke von der Theologischen Fakultät FLT berichtet darüber, wie die Einwanderer aus Deutschland sich über den Südosten Brasiliens ausbreiteten: Rio de Janeiro (1827), Petrópolis (1846), Juiz de Fora (1858), São Paulo (1863), Santos (1907). Allein zwischen 1827 und 1829 kamen fast tausend Einwanderer aus Deutschland in die Region Santo Amaro/SP, um auf Bauernhöfen zu arbeiten. Neben den Bauern kamen auch viele Industrietechniker, Händler, Lehrer, Pfarrer und Ärzte. Am 25. Juli 1824 trafen die ersten Einwanderer in Rio dos Sinos ein und gründeten die Stadt São Leopoldo/RS. Von den 39 Einwanderern dort waren 33 Lutheraner. Es dauerte nicht lange, bis die Lutheraner auch in andere Städte in Rio Grande do Sul zogen. In Santa Catarina wurde 1847 die Kolonie Santa Isabel mit Einwanderern aus dem Hunsrück gegründet. Am 2. September 1850 gründeten die ersten 17 Einwanderer, allesamt Lutheraner, mit Dr. Bruno Otto Hermann die Kolonie Blumenau. Am 28. August 1852 folgten ihnen weitere 132 Personen nach Blumenau. Am 9. März 1851 ließen sich Einwanderer in Joinville nieder. 118 Schweizer und deutsche Einwanderer sowie 61 Norweger kamen in der Kolonie Dona Francisca an und begannen mit der Kolonisierung der Region.
Die Ausgewanderten bewahrten sich über einen langen Zeitraum ihre Gebräuche und ihre Mundart. 1930 wurde nach der Machtergreifung durch das Militär Getúlio Vargas (1882-1954) Präsident, ausgestattet mit diktatorischen Vollmachten. Dessen nationalistische Bestrebungen im Zuge des 1937 proklamierten „Estado Novo“ trieben die Assimilierung der Deutschen in Brasilien voran. Vor allem das Verbot der deutschen Sprache in den Schulen, in denen auch Religionsunterricht erteilt wurde, zeigte ab den 1940er Jahren rasch seine Wirkung. Von den vielen hunderten Schulen, die die lutherische Kirche unterhielt, sind auch durch diese politischen Umwälzungen heute nur noch knapp über 50 Schulen in der Trägerschaft der Kirche geblieben.
Unter der Herrschaft der Portugiesen hatte die katholische Kirche viel Einfluss auf die Politik. Seit der Gründung der Republik 1889 sind Kirche und Staat jedoch getrennt und es herrscht Religionsfreiheit. Seit Jahren sinkt der Anteil der Katholiken stetig und macht heute kaum noch drei Viertel der Bevölkerung aus. Ein Fünftel der Brasilianer ist anderen Ausprägungen des Christentums zuzuordnen, meist protestantisch orientiert.
Inzwischen ist die IECLB in allen Teilen des Landes präsent. Dazu trugen die Migrations- und Wanderungsbewegungen bei, die bis heute bestehen.
Zur Geschichte der IECLB gehört die Einwanderungsgeschichte. Selbst versteht sich die Kirche mit dem Land und seinen großen Herausforderungen verbunden. Bei der 200-Jahrfeier in diesem Jahr wird es um die reiche Geschichte der Kirche gehen. Es wird aber auch darum gerungen werden, wie man in Zukunft weiter Kirche in Brasilien sein will. Die Mitgliederzahlen sind in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Gehörten 2014 noch 717.130 Mitglieder der Kirche in 18 Synoden und 1.811 Gemeinden und 1.152 Predigtstellen mit 144 Pfarrerinne und 540 Pfarrern an, so sind es 2024 noch 634.286 Mitglieder bei 1.774 Germeinden und 925 Predigtsellen. Insgesamt arbeiten 978 Pfarrer:innen in der IECLB. Wie kann man missionarische Kirche sein mit den unterschiedlichen Traditionen, die sich in der Kirche wiederfinden mit pietistischen , evangelikalen und befreiungstheologischen Richtungen? Darum wird es im April bei einer Konferenz der Kirche gehen.
Dazu kommen die politischen Herausforderungen in einem polarisierten Land. Die Abholzung des Amazonasregenwaldes und der Umgang mit den klimatischen Veränderungen betrifft auch die Kirche – besonders in ihrer flächenmäßig größten Synode in Amazonien. Auch der Theologennachwuchs bereitet Sorgen: Es gibt zu wenig Studierende.
Bei all dem gilt es, dankbar zu sein für die Präsenz der Kirche in diesem großen und schönen Land. Das GAW wird weiterhin die Arbeit der Kirche begleiten und unterschiedliche Projekte unterstützen.
Brasilianische Projekte im Projektkatalog 2024: https://gustav-adolf-werk.1kcloud.com/ep1Ezbrv/#32.
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