Jerzey Buzek |
Am zweiten Tag ist der inhaltliche Schwerpunkttag der Christlichen Begegnungstage in Wroclaw/Breslau. Für uns beginnt er um 9 Uhr mit der Bibelarbeit von Bischof Bohl zu Galater 5, 1-14: “Zur Freiheit hat uns Christus befreit..“ Was heißt die Bindung an Christus in Zeiten scheinbar grenzenloser Freiheit und Lebensmöglichkeiten? Die gewonnene Freiheit will in Verantwortlichkeit gelebt und gestaltet werden, denn die Freiheit ist nicht das einzige, das zählt. Den Gemeinschaften, und das sind ja auch die Gemeinden, kommt eine zentrale Rolle zu.
Um Freiheit, oder besser Freizügigkeit, geht es auch auf dem von der Polnischen Diakonie initiierten Forum, bei dem ich das Jahresprojekt der Frauenarbeit „Du bist nicht verlassen“ vorstelle. Was heißt Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa in Polen, Tschechien, Ungarn, der Ukraine und Deutschland? Was heißt es für die Pflegekräfte, die ihr Land verlassen auf der Suche nach Verdienstmöglichkeiten, und welche fairen Modelle können, wie etwa „Fair Care“ bei der Diakonie in Württemberg, entwickelt werden? Von verschiedenen Personen werde ich später auf unser Jahresprojekt angesprochen und merke, dass wir mit dem Projekt ein wichtiges gesellschaftliches Thema ansprechen und auf großes Interesse stoßen.
Reformation und Freiheit, Konziliarer Prozess, Frauen und Reformation – das sind andere Diskussionsforen, die gleichzeitig ablaufen. Großen Ansturm gibt es auf den Vortrag von Professor Jerzy Buzek „Die Rolle der Kirchen im Integrationsprozess der Staaten Mittel- und Osteuropas“, ein starkes Plädoyer für Europa und seine Stärkung.
Am Nachmittag besuche ich das „Bischofsforum“, auf dem neun Bischöfe, ein Männerforum mit Bischöfen aus West und Mittelosteuropa – Deutschland, Österreich, Ungarn, Slowakei, Tschechien und der Ukraine – nach dem Zustand der Evangelischen Kirchen und der protestantischen Identität 25 Jahre nach der politischen und gesellschaftlichen „Wende“ 1989 fragen. Auch hier sind die Begriffe Freiheit und Verantwortung leitend. Bischof Gáncs von der Evangelisch-Lutherischen Kirche Ungarns drückt die Veränderung mit einem Bild aus. „Früher war das Bild der „Burg“ wie „Ein feste Burg ist unser Gott“ für uns als Protestanten identitätsstiftend. Aber dieses Burgsymbol ist hat auch etwas von einer Ghettogesellschaft. Vom „Burgsymbol“ wollen wir uns hin zu einer Oase entwickeln, wo Menschen Ruhe und Erfrischung finden“. Bei den Entwicklungsperspektiven fällt auch immer wieder das Jahr 2017, das 500-jährige Reformationsjubiläum, auf das alle bewusst zugehen und das alle auch als Aufgabe sehen. Aufhorchen lässt das Statement von Bischof Marcin Hintz, seit 2010 Bischof der Diözese Pommern-Großpolen. Bei der Frage nach dem protestantischen Profil geht es für ihn auch um Geschlechtergerechtigkeit und um die Aufgabe, sich der Entscheidung um die Frauenordination zustellen, der die Evangelisch-Lutherische Kirche als eine der wenigen lutherischen Kirchen ja bisher noch nicht eingeführt hat. Die Reaktion der Zuhörer ist spontaner Applaus, das einzige Mal in dieser Veranstaltung!
Beim Schlendern über den Markt der Möglichkeiten spreche ich mit einem Pfarrer aus Pommern, der wie ich das erste Mal an diesen Begegnungstagen teilnimmt: “Das ist doch eine sehr gute Sache“, resümiert er, und dem kann ich voll zustimmen. – Vera Gast-Kellert
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