Martin trifft ihn gleich am ersten Abend im Haus der Iglesia Evangélica Luterana De Colombia (Evangelisch-Lutherische Kirche von Kolumbien – IELCO), und sie kommen sofort ins Gespräch auf Portugiesisch, denn Pastor Jairo Suárez hat in São Leopoldo Theologie studiert, wie früher alle lutherischen Theologen und Theologinnen aus Kolumbien. Aber auch Englisch ist kein Problem, denn er war für ein Jahr Student in den USA. So ist das Gespräch mit ihm sofort intensiv und lebendig. Heute ist er Direktor und Koordinator der Diakonie seiner Kirche. Wie er dazu kam? Er lacht. Das ist so eine lange und spannende Geschichte. „Als Achtjähriger wurde ich von einem Onkel in die “Assembleia de Deus“, eine Pfingstkirche, eingeladen. Doch mein Onkel und meine Tante begannen dann, eine evangelikale Kirche nach der anderen zu besuchen.“ Dieses Sogenannte „Churchhopping“ ist wohl typisch für viele suchende Menschen in Lateinamerika. – Als Jairo 14 Jahre alt war, wurde er in einer Baptistenkirche wiedergetauft und begann gleich danach zu predigen. „Seitdem habe ich nicht aufgehört zu predigen“, lacht er. Nach der Höheren Schule kam der Militärdienst. Der ist in Kolumbien Pflicht. Aber da er ein guter Sportler, vor allem Sprinter, war, wurde er vom Dienst an der Waffe befreit und durfte sein Bataillon sportlich vertreten. Danach war er arbeitslos. Für ein Studium fehlte das Geld. Doch dann wurde er gefragt, ob er nicht an einer lutherischen Grundschule auf dem Lande im Osten Kolumbiens unterrichten wolle. „Das war Unterricht in den ersten Klassen“, entschuldigt er sich. Er nahm das Angebot an, aber war weiter Baptist. Doch dann kam eine weitere Herausforderung. Der lutherische Pastor an dem Ort war mit einer Kanadierin verheiratet, und die erkrankte plötzlich schwer an Krebs. Das bedeutete, dass die Familie dringend zur Behandlung nach Kanada fuhr. Nun war die Gemeinde ohne Pastor, und da Jairo als Lehrer tätig war, wurde er gefragt, ob er nicht die Gottesdienste übernehmen und predigen könne. Er blieb aber weiterhin Baptist. Er kam der Bitte nach, und als der Pastor nach einem halben Jahr zurückkehrte, war die Gemeinde um ein Vierfaches gewachsen. Das Gebäude war zu klein, und die Menschen saßen auf den Fensterbänken, wenn er predigte. Natürlich war der Pastor sehr erstaunt über diese Entwicklung. Er gab Jairo Luthers Kleinen Katechismus zu lesen, und nach drei Tagen konfirmierte er ihn! „Stell dir vor, nach drei Tagen!“ Im Fernstudium studierte er schon Philosophie und Geschichte, später denn Theologie in São Leopoldo. Seit 25 Jahren arbeitet er in der IELCO und hat 2002 die Menschenrechtsbewegung gegründet. Worin sieht er die Herausforderungen für die Lutherische Kirche in den nächsten Jahren? „Ein besonderes Ereignis ist das Reformationsjubiläum 2017. „Wir versuchen, die beste Lutherbibliothek in Kolumbien, wenn nicht in ganz Lateinamerika aufzubauen! Viele kommen dazu hier in unser Haus und recherchieren. Wir haben festgestellt, dass das Interesse an Luther in den letzten fünf Jahren sehr gestiegen ist – und das in einem so katholischen Land wie Kolumbien. Ein Anstoß war die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, ein zentrales Dokument der Ökumenischen Bewegung, zwischen dem Lutherischen Weltbund (LWB), der römisch-katholischen Kirche und dem Weltrat methodistischer Kirchen am 31. 10. 1999 in Augsburg. – Eine weitere Heerausforderung ist die Entwicklung der Menschenrechte in Kolumbien. Heute ist die Situation zwar besser als vor 4-6 Jahren. Aber den Anstoß für ihn gab die Beschäftigung mit traumatisierten Menschen in seiner ersten Gemeinde in Ibagué südwestlich von Bogotá. 60% der Gemeindemitglieder waren in irgendeiner Weise von Vertreibung durch Drogenbosse und multinationale Konzerne betroffen. Viele hatten auch Angehörige verloren, die verschwunden waren oder getötet wurden. Unter dem Vorwand, die Guerilla zu bekämpfen, ging die Regierung gegen die Zivilbevölkerung vor. Viele der über 3 Millionen vertriebenen Menschen flohen in die Großstädte, die wie Pilze wuchsen. Für die Bauern war die Lage auch sehr schwierig. Sie wurden oft zum Anbau von Drogen gezwungen, weil die Drogenbosse ihnen die besten Angebote machten. Auch die großen multinationalen Konzerne verfolgen ihre Interessen gegen die der Bevölkerung. „Die Lutherische Kirche (IELCO) ist eine missionarische Kirche, die im Wesentlichen finanziell ganz auf sich gestellt ist. Es gibt zwar eine gewisse Hilfe vom LWB und auch aus den USA von der Evangelical Lutheran Church of America (ELCA), aber die Frage der Pfarrergehälter und der Verwaltung ist äußerst schwierig. Wir sind eine Kirche der Armen. Die meisten Mitglieder sind arbeitslos und können keine Beiträge leisten, höchstens um die Miete des Gemeinderaumes zu zahlen oder durch Beteiligung an der Arbeit. Der Durchschnittslohn in Kolumbien liegt bei etwa 250 bis 270 Dollar pro Monat. Aber viele leben von zwei Dollar pro Tag! – Wir haben als Kirche einen Missionsplan entwickelt und versuchen auch, aus Mieteinnahmen einiger Wohnungen, die wir besitzen, Pfarrergehälter zu zahlen. Ihr habt gesehen, wie schwierig die Arbeit für die Pfarrer ist bei den weit auseinander liegenden Gemeinden, ohne Auto und auch bei dem Verkehr. Und dabei ist die Hauptaufgabe eines Pfarrers, einer Pfarrerin, besonders hier in Kolumbien und in den großen Städten wie Bogotá, die Menschen zu besuchen, ihren Alltag zu kennen. Wir müssen eine Kirche sein an der Seite der Menschen.“ – Vera Gast-Kellert
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