Nestor Friedrich

In Porto Alegre im Sitz der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses (EKLBB) treffen wir den Kirchenpräsidenten, Dr. Nestor Friedrich. Er berichtet von einer Versammlung des Nationalen Kirchenrates (Conselho Nacional de Igrejas Cristãs do Brasil – CONIC) das in Brasilia stattfand. Frisch sind die Eindrücke. „Wir haben ein wichtiges Wort verabschiedet im Zusammenhang mit der Erinnerung an den Militärcoup am 31. März 1964, also genau vor 50 Jahren. Diese gemeinsame Übereinkunft für Demokratie in Brasilien – „Nie wieder Diktatur“ – ist ein prophetisches Wort in die brasilianische Gesellschaft im Kampf für Menschenrechte und Demokratie.“ Die Aufarbeitung der Militärdiktatur ist ein Thema in der Gesellschaft und auch in der heutigen Tageszeitung. „Wir fragen uns auch im Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft und dem Bau der gigantischen Stadien, wer das eigentlich beschließt und ob die Bevölkerung, etwa die Menschen in der Umgebung eines Stadions, ein Mitspracherecht hatte. Das ist nicht so. Und wer zahlt? Das Volk nimmt an der Wahl teil, doch das ist alles, was demokratische Beteiligung bedeutet. Aber jetzt gibt es kein zurück, was die Weltmeisterschaft – die „Copa“ betrfft. Wir werden uns jetzt, so gut wir können, auch in die Veranstaltungen im Rahmen der Weltmeistershaft einbringen. Da gibt es Gottesdienste und auch eine Zusammenarbeit mit der FIFA, und wir hoffen, dass wir in das allgemeine Programm aufgenommen werden. Wir haben auch das Thema der Zwangsprostitution eingebracht und darauf aufmerksam gemacht. Die Frauen stammen anders als in Deutschland meist aus Brasilien, aber es gibt mafiöse Strukturen, die sie ausbeuten. Und wenn wir schon so viele große Stadien haben, dann wollen wir auch ebenso gute Schulen und Krankenhäuser.“

Ein anderes politisches Thema, das die Kirche beschäftigt, ist der Bau eines riesigen Staudamms am Rio Uruguay. Ohne Rücksicht auf die Bevölkerung wird dieses gigantische Projekt vorwärts getrieben, weil es dem Sojahandel dient und Weltkonzerne mit ihren Interessen dahinter stehen.

Ich frage nach der Situation des Pfarrernachwuchses. Sieht die Situation ähnlich aus wie in der Evangelischen Kirche am La Plata (IERP in Agentinnen, Paraguay und Uruguay? „Wir haben ja drei theologische Hochschulen unterschiedlicher Prägung“, berichtet Nestor Friedrich, „und in diesem Jahr haben wir eine große Gruppe, die mit dem Studium beginnt. Aber wir haben in der Vergangenheit festgestellt, dass ein hoher Prozentsatz der Theologiestudierenden dann doch nicht in der EKLBB arbeitet. Von 850 Studierenden waren es nur 150! So haben wir jetzt ein kirchliches Programm entwickelt, um die Studierenden während ihres Studiums mit jährlichen Pflichtseminaren und auch mentorieller Betreuung zu begleiten. Denn es ist uns wichtig, dass sie in der Kirche bleiben und arbeiten. Wir wollen ihnen von Anfang an zeigen: ´Wir wollen euch!` 

Sehr intensiv wird auch hier in der EKLBB die Reformationsdekade wahrgenommen und thematisiert. Gerade ist ein Aufsatz erschienen: „Gottesdienst und Musik“. „Das Thema der Liturgie ist sehr wichtig“, so der Kirchenpräsident, „da, wo es einen guten liturgischen Stil gibt, da wachsen auch die Gemeinden“. Ich erinnere mich daran, dass wir in den 90er Jahren Studientage mit den brasilianischen Partnergemeinden durchführten, die uns Deutsche sehr inspirierten. Deshalb bin ich verwundert über Nestors kritische Berichte. „Oft ist die Gefahr, dass die Liturgie mit einem evangelikalen Lobpreisstil verflacht. Dann wird der Gottesdienst so etwas wie ein Theater. Dem müssen wir entgegenwirken.“ Ein Thema, das uns persönlich nicht fremd ist. „Es wird auch eine wichtige Aufgabe im Studium und vor allem während des 17-monatigen Vikariats sein“, meint Nestor Friedrich. „2014/15 werden wieder zwei Studenten als Stipendiaten nach Leipzig gehen. Sie haben sich gerade bei mir vorgestellt, und ich freue mich darüber. Auch so können liturgische Impulse weitergegeben und ausgetauscht werden.“

Rückblickend merke ich, dass sich die Themen, die die Kirche beschäftigen, seit den 90er Jahren schwerpunktmäßig verändert zu haben scheinen. Damals war es die „Sem-Terra-Bewegung“, die „Landlosenbewegung“ und die Arbeit mit Kleinbauern. „Heute ist die Frage immer stärker: „Welche Wege und Angebote gibt es für die Stadt? Die Großstädte – auch hier um Porto Alegre – sind heute ein großer Teil der Realität der EKLBB. Und da gibt es auch ermutigende Erfahrungen.“

Auf diesem Weg wünschen wir der Kirche, vor allem auch ihrem Präsidenten und angesichts der Herausforderungen durch die Weltmeisterschaft in diesem Jahr Gottes Segen!

Vera Gast-Kellert, Vorsitzende der Frauenarbeit im Gustav-Adolf-Werk