Im Mai 2012 besuchte eine Delegation der Nordkirche aus Anlass der Synode der lutherischen Kirche die Republik Kasachstan. Pastorin Christa Hunzinger, Europareferentin des „Zentrums für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit“ (vormals NMZ) schreibt in ihrem Reisebericht ausführlich über die Geschichte der luthersichen Kirche in dem zentralasiatischen Land:
„Die Geschichte der lutherischen Gemeinden in Kasachstan begann vor etwa 250 Jahren, als viele Deutsche nach Russland auswanderten, vor allem an die Wolga, in die Ukraine und in den Kaukasus. Dort bildeten sie zum Teil geschlossene Siedlungsgebiete oder lebten mit anderen Nationalitäten eng zusammen. Seit der Revolution 1917 und vor allem unter Stalin wurden die Kirche und dann alle 2 Millionen Russlanddeutschen verfolgt. Die letzte lutherische Kirche in der Sowjetunion wurde 1938 in Moskau geschlossen. Die Menschen werden nach Sibirien, Kasachstan und Mittelasien deportiert, zur Arbeit in der sog. Trudarmee oder Arbeitslagern gezwungen, verhaftet, zum Tode verurteilt oder ohne Urteil liquidiert. Vor allem viele Männer sind umgekommen, Frauen und Kinder mussten sich allein eine neue Existenz im Osten aufbauen. Über Jahrzehnte waren deutsche Sprache und christliches Leben (sogar der Besitz der Bibel und häusliches Gebet) streng verboten. Von den ursprünglich 200 lutherischen Pastoren arbeiteten nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch drei. Einer von ihnen war Eugen Bachmann, dem es 1956 gelang, die Gemeinde Zelinograd (heute: Astana) als erste lutherische Gemeinde neu zu registrieren. Die Partnerschaft mit den Lutherischen Christen in Kasachstan begann mit dem Mecklenburgischen Landesbischof Dr. Heinrich Rathke. Er wurde 1972 der erste Beauftragte des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR für die Russisch-Orthodoxe Kirche. Dazu besuchte er Moskau, Leningrad und Riga und traf in Riga den lutherischen Oberpfarrer Harald Kalnins, der sich heimlich für die verbannten Christen in Sibirien, Kasachstan und Mittelasien einsetzte. Mit ihm war Heinrich Rathke zum ersten Mal in Kasachstan, weitere Kontakte und Besuche folgten. Er kam, um die Gemeinden zu besuchen und zu stärken oder manchmal auch erst zu finden. In der sowjetischen Zeit gab es in Kasachstan nur einzelne verstreute Gemeinden, denn bis in die 80er Jahre war es offiziell verboten, mit anderen Christen oder Gemeinden Kontakt aufzunehmen. So entwickelten sich erst seit Ende der 80er Jahre kirchliche Strukturen über die Gemeindegrenzen hinaus. Insgesamt nennt ein Gemeindeverzeichnis aus den 70er Jahren 74 Gemeinden in Kasachstan. Die größte Gemeinde war in der Stadt Karaganda mit 3.700 Mitgliedern – hier predigte der Bergmann Heinrich Nazarenus jeden Sonntag zu 1.000 –1.500 Gottesdienstbesuchern in zwei bis drei Schichten. Die nächstgrößeren Gemeinden waren in Alma-Ata (1.002 Mitglieder) und Zelinograd (853 Mitglieder). 1992 wurde Dr. Heinrich Rathke von Harald Kalnins, seit 1988 Bischof der neu gegründeten Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Sowjetunion, zum bischöflichen Visitator von Kasachstan eingesetzt. 1993 wurde die Evangelisch-Lutherische Kirche in der Republik Kasachstan auf der konstituierenden Synode in Almaty offiziell gegründet. Zum ersten geistlichen Leiter der Kirche wurde Richard Kratz gewählt – er hatte noch den Titel Superintendent -, ihm folgten ab 1996 Bischof Robert Moser, ab 2001 Bischof Peter Urie und seit 2005 ist Jurij Timofejewitsch Novgorodov Bischof. Seit den 90er Jahren sind unzählige Gemeindeglieder nach Deutschland ausgereist. So ist die Kirche sehr geschrumpft – von 228 Gemeinden im Jahr 1993 auf 52 heute – und die Anzahl der Deutschsprachigen stark zurückgegangen. Um auch junge Menschen zu erreichen, beschloss die Synode schon in den 90er Jahren, den Gottesdienst nicht länger auf deutsch, sondern auf russisch zu halten – ein schmerzhafter Prozess für viele Ältere. So erinnerte Hans-Heinrich Jarchow in seinem Grußwort auf der Synode an einen Synodalen, der damals bitterlich weinend erklärte: „Der Russ hat uns geschlagen, weil wir unseren Gott in deutsch loben wollten. Und jetzt sollen wir Gott in russisch loben?“ Doch es war eine wichtige Entscheidung, um der Kirche eine Zukunft zu geben. So erklärte Bischof Jurij Novgorodov einmal stolz: „Aus einer monoethnischen Kirche sind wir eine multiethnische Kirche geworden.“ 1997 verlegte die Kirche ihren Sitz von Almaty nach Astana. Heute hat die Kirche etwa 2.500 Mitglieder in 52 zum Teil sehr kleinen Gemeinden. Es gibt zehn Pastoren sowie viele Predigerinnen und Prediger (mehrheitlich Frauen). Es gab eine Pastorin und Pröpstin in Kasachstan, bei der Diskussion über die Frauenordination in der Synode in den 90er Jahren wurde von einer großen Mehrheit betont: „Ohne die Frauen hätte unsere Kirche die vielen Jahre der Unterdrückung niemals überlebt. Da können wir doch nicht jetzt sagen, sie seien nicht von Gott berufen.““