Michail ist 20 Jahre alt, russischsprachiger Ukrainer aus Charkiw/Charkow und Mitglied der Jugendgruppe der evangelischen Gemeinde. Heute, am 25. Februar berichtete er in einem Videointerview mit Sarah Münch von der aktuellen Lage und seinen Befürchtungen:
Wie ist im Moment die Situation bei
dir in Charkow?
Erst vor zehn Minuten habe ich in er
Nähe Schüsse gehört. Meine Schwester und meine Oma sind zum Glück
an einem etwas ungefährlicheren Ort außerhalb der Stadt. Sie haben
die nötigsten Dinge zusammengepackt, um bereit zu sein, wenn wir
wirklich fliehen müssen.
Viele Menschen haben heute die Nacht in
einer der Metrostationen verbracht (siehe Bild). Der öffentliche
Personennahverkehr ist eingestellt. Vor den Supermärkten und Banken
waren gestern lange Schlangen. Alle haben sich mit Lebensmitteln
eingedeckt und Geld abgehoben, da sie nicht wissen, was kommen
wird.
Wie gefährlich ist es für euch?
Der Anblick von bewaffneten Soldaten
auf den Straßen macht uns Angst. Wir wissen nicht, zu
welcher Armee sie gehören und ob von ihnen eine Gefahr ausgeht. Ich
persönlich empfinde es auf der Straße aber nicht als unmittelbar
gefährlich. Bei den Schießereien treffen nur Soldaten aufeinander,
die Zivilbevölkerung ist nicht betroffen. So wie eben, als wir
Schüsse gehört haben. Wenn aber die Flugzeuge mit Bomben kommen,
dann wird es richtig gefährlich. Man spürt immer wieder
Erschütterungen von den Kampfhandlungen. Wir haben den Eindruck,
dass sie immer näher kommen. Deshalb weiß ich auch nicht, ob wir
heute Abend noch in der Stadt sein werden.
Wir können nur abwarten. Ich gebe zu:
Ich habe Angst vor dem, was noch kommen könnte. Ich weiß noch nicht
einmal, was heute Abend sein wird – geschweige denn nächste Woche.
Wenn die Lage schlimmer wird, werde ich zu meiner Schwester und
meiner Oma gehen. Ansonsten bin ich seit gestern in der Stadt
unterwegs, dokumentiere die Situation mit meiner Kamera und helfe
Menschen. Das ist das einzige, was ich derzeit tun kann. Gestern habe
ich auf der Straße einer alten Frau beim Tragen von Lebensmitteln
geholfen. Die U-Bahn fährt ja nicht und sie war völlig überfordert.
Wie kommt es, dass du gestern sofort
deine Kamera gezückt hast und die Situation in Bilder festgehalten
hast?
Ich habe schon vor einigen Jahren
angefangen, Bilder zu machen und mir das künstlerische
Fotografieren nach und nach selbst beigebracht. Ich bevorzuge dabei
Schwarz-Weiß-Bilder. Das ist meine Form, mit den gesellschaftlichen
Entwicklungen hier in der Ostukraine umzugehen.
Bist du von der Generalmobilmachung
der Armee betroffen?
Ich werde zunächst nicht zum Kämpfen
eingezogen. Ich habe keine militärische Ausbildung und traue mir
ehrlich gesagt den Dienst an der Waffe auch nicht zu. Ich könnte nur
so etwas wie Sanitätsdienste machen.
Was wünschst du dir? Für was
sollen wir beten?
Was soll man sich in einer
kriegerischen Zeit wünschen? Wir wünschen uns Frieden. Ich wünsche
mir, dass die Menschen sich nicht mehr gegenseitig umbringen und
wieder friedvoll miteinander leben. Es ist schön, dass alle Kirchen
in der Stadt offen sind.
Ich mag Kinder und kümmere mich gern
um sie. Besonders traurig macht mich ihre Angst, wenn sie fragen:
Warum wird geschossen? Was ist los?
In der Gemeinde beten wir für die
ukrainischen Soldaten, dass sie es schaffen, ihre Heimat zu
verteidigen. Unser Pfarrer, Pawlo Schwarz, bringt gerade seine
Familie ins Ausland und will heute nach Charkow zurückkehren und
anderen helfen, nach Polen zu gelangen.
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