Kirchentextilien von Pfarrerin Laine Villenthal
Nach dem Feierabend stieg die Pfarrerin ins Obergeschoss des Pfarrhauses und setzte sich … an den Webstuhl. Pfarrerin Laine Villentahl (1922-2009), die 1967 als erste Frau in der Estnischen Evangelisch-Lutherischen Kirche zur Pfarrerin ordiniert wurde, hat für ihre damalige Kirchengemeinde in Pindi auch verschiedene Kirchentextilien angefertigt. Ein Teil davon ist noch heute in der Kirche zu sehen. Die Wissenschaftlerin Marju Raabe, die im Estnischen Geschichtsmuseum arbeitet und zu Kirchentextilien forscht, berichtet in ihrem Blog http://kirikutekstiilid.blogspot.com/ auch über Villenthals Kirchentextilien. Raabe schreibt: „Unter den Kirchentextilien in den lutherischen
Kirchen in Estland sind die von Laine Villenthal ganz besonders – wie
auch sie in ihrem Glauben, ihrer Liebe und ihrem Dienst besonders war.“
Altartücher
Am 4. Oktober 1981 feierte die Gemeinde Pindi den 100. Jahrestag der Kirchweih. Der damalige Erzbischof Edgar Hark hatte Genesis 28,17 als Grundlage für seine Begrüßungsrede gewählt. Laine Villenthal hat diesen Bibelvers als Spitze für ein neues Altartuch gehäkelt. Der Text läuft über drei Seiten des Altars: „Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht. Wie heilig ist diese Stätte! Dies ist nichts anderes als das Haus Gottes und dies die Pforte des Himmels.“
Das zweite Altartuch, das Laine Villenthal für Pindi angefertigt hat, ist komplett gehäkelt. Der Text stammt aus dem Matthäusevangelium (5:44, 48, 9)
Marju Raabe lobt die Altartücher: „Sie sind einfach und schön in der Gestaltung, aber kraftvoll im Inhalt.“
Wandteppich
Der Wandteppich „Vater unser“ entstand ca. 1980. Laine Villenthal machte damals in einem Handarbeitskreis des kommunalen Kulturhauses mit. Unerwartet schlug die Leiterin ihr vor, einen Teppich mit einem kirchlichen Thema zu weben. Pfarrerin Villenthal hatte bereits davon geträumt, sich aber nicht getraut, weil das Kulturhaus ja eine Stätte der kommunistischen Propaganda war. Für den Teppich fügte Villenthal Motive wie eine brennende Kerze, ein Kreuz, einen Abendmahlskelch etc. so zusammen, als würden sie auf dem Altartisch stehen. Doch die Leiterin der Webgruppe empfahl, noch einen bedeutsamen kirchlichen Text zentral in den Teppich zu weben. Nach einigen Überlegungen fiel die Entscheidung zugunsten der Anfangszeilen des Vaterunsers.
Der fertige Teppich zierte lange das Pfarrbüro in Pindi. In den letzten Lebensjahren Villenthals hing er in ihrem Wohnzimmer und diente bei ihrer Beerdigung als Sargdecke.
Teppiche
In der Kirche von Pindi befinden sich noch heute zwei weitere Teppiche von Laine Villenthal. Auf dem Weg zum Altar liegt ein zwölf Meter langer Läufer, den Villenthal um 1987 fertiggestellt hat. In ihrem Buch „Wir wollen keinen anderen Pfarrer!“ (Verlag des GAW, Leipzig 2017) erinnerte sie sich: „Der alte Teppich war kaputt und musste dringend ausgewechselt werden. Ich bat die Gemeindemitglieder um Wollspenden und tauschte die Wolle gegen fertiges Garn ein, das wir braun und beige einfärbten. Als Kettfaden benutzten wir Fischnetzgarn. Ein Gemeindemitglied schenkte der Gemeinde den großen Webstuhl seiner Mutter. Ich begann im Sommer und zu Heiligabend wurde der Läufer fertig. Alle freuten sich, dass der Teppich gerade zum Geburtstag des Heilandes in Gebrauch genommen werden konnte.“ (S. 259-260)
Marju Raabe schreibt: „Der Teppich des Langhauses ist schön und ruhig. Er macht den Kirchenraum festlicher und gemütlicher. Die zurückhaltenden Farben und Formen wirken nicht aufdringlich, sondern heben das Wichtigste im Kirchenraum hervor – den Altar.“
Der zweite Teppich liegt direkt vor dem Altar, wo die Geistlichen während des Gottesdienstes dienen. Auf dem bestickten Teppich steht ein Text aus dem zweiten Buch Moses: „Zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!“ (2. Mose 3,5).
Fotos: Marju Raabe; Privatsammlung
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