Pavel Smetana |
„Es geschah ein Wunder!“ Diese Worte schrieb Pavel Smetana, Synodalsenior der Evangelischen Kirche der Böhmische Brüder (1991-2003) in Tschechien im Jahre 1991, als er Rückblick hielt auf die dramatischen Ereignisse, die sich in der damaligen Tschechoslowakei im Jahr 1989 abspielten. Als „Samtene Revolution“ gingen die Ereignisse des November/Dezember in die Geschichte ein. Am 16. November gab es eine große Studentendemonstration in Brastislava. Am 17. November gab es dann eine große Demonstration in Prag, die die Polizei gewaltsam zerschlagen wollte. Etwa 600 Personen wurden von den Sicherheitskräften verletzt. Am nächsten Tag riefen die Prager Studenten zu einem zeitlich unbegrenzten Studentenstreik auf; die Schauspieler der Prager Bühnen schlossen sich an. Diese Aktionen werden allgemein als Anfang der Revolution gesehen.
Pavel Smetana erinnerte sich: „Kurz vor Abschluss der abendlichen Sitzung der 26. Synode berichteten junge Mitglieder der Kirche am Freitag, 17. November 1989, von dem grausamen Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Demonstration anlässlich des fünfzigsten Todestages des Studenten Jan Opletal, der am Beginn des Zweiten Weltkrieges von den Besatzern getötet worden war. Die berichtenden Jugendlichen trugen Spuren von Gewalttaten und erzählten von rücksichtsloser Gewalt gegenüber der wehrlosen Jugend. In schrecklicher Not und im Moment der Ratlosigkeit beauftragte die Versammlung ihren Vorsitzenden zu versuchen, sich mit den höchsten Repräsentanten des Staates in Verbindung zu setzen und um Hilfe zu bitten. Und dann traten unvergessliche Momente ein. Im Angstgefühl über das Schicksal der jungen Leute, unter denen viele Kinder von Delegierten waren, und sich der menschlichen Machtlosigkeit bewusst, begannen die Synodalen in Gebeten um Hilfe zu bitten. Sie sangen Lieder und vergegenwärtigten sich die biblischen Verheißungen. Und hier entstand die Überzeugung: Die Regierung hat endgültig das Recht auf die Verwaltung des Landes verloren. Es ist unbedingt notwendig, Widerstand zu leisten, ohne Rücksicht auf die Folgen, die dies für die Kirche haben wird… In der Tschechoslowakei (hatte die Polizei eine) unglaubliche Macht zur
Verfügung: eine gut organisierte Polizei und Geheimpolizei, eine große Armee mit kommunistischen Offizieren, eine eigene Parteipolizei in den Betrieben sowie eine große Schar von Spitzeln und Provokateuren. Außerdem 100 000 sowjetische Soldaten im Lande. Auf der anderen Seite standen anfangs nur junge Leute mit leeren Händen, ein paar Schauspieler und eine kleine Gruppe von Dissidenten. Wie einfach war es für die kommunistische Führung, die Demonstration blutig zu unterdrücken. Trotzdem ist die Partei mit ihren Machtansprüchen nach nur zwei kurzen Wochen zurückgetreten. Da bleibt die Frage: Was geschah da eigentlich? Und ich antworte: Es geschah ein Wunder!“
Pavel Smetana wusste auch nüchtern die Wende in seinem Land zu interpretieren:
„1. Nicht nur die Leitung, sondern auch die Mitglieder der kommunistischen Partei hatten bereits alle ihre Ideale verloren. Sie hatten nichts mehr, für das sie leben und sterben konnten.
2. Die ökonomische und ökologische Situation des Landes hatte sich in solch einem Ausmaß verschlechtert, daß es keine Hoffnung mehr gab, die Probleme im Rahmen der sozialistischen Strukturen zu lösen.
3. In den meisten Nachbarstaaten war es schon zu tiefgreifenden Veränderungen gekommen. Und besonders darf die Rolle der neuen Parteileitung in Moskau nicht übersehen oder vergessen werden.“
Nüchtern sieht er auch die Rolle der Kirche, die nicht tapfer genug auf der Seite der Verfolgten stand. Sie habe nicht intensiv die Mächtigen daran erinnert, dass sie sich für ihre Taten verantworten müssen. Sie habe sich oft genug in ihr Ghetto zurückgezogen. Sie habe zu wenig auf Gottes Wort vertraut. (Die Evangelische Diaspora, 60. Jg., 1991, Pavel Smetana, Erfahrungen einer ev. Diasporakirche vor und nach der Sanften Revolution, S. 39-47)
Pavel Smetana wird am 8.Oktober 2018 in Prag beerdigt. Er hat die Leitung seiner Kirche in schwieriger Zeit übernommen und segensreich gewirkt.
Am 9. Oktober wird in Leipzig das sog. „Lichtfest“ gefeiert. Es erinnert an das entscheidende Friedensgebet in der Nikolaikirche mit den großen Demonstrationen, die zum Umsturz des DDR-Regimes führten. Auch hier war es gewaltlose Widerstand mit Gebeten, Kerzen und Demonstrationen, die zum Wandel führten. Ein Wunder!
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